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ADHS Elterntraining und Soziales Kompetenztraining

Wenn man sich die Empfehlungen zur ADHS-Behandlung bei Kindern anschaut, wird die Medikation gerne –  nach Elterntraining und Psychotherapie – als Mittel der letzten Wahl dargestellt. Schön und gut. Das mag man ja weltanschaulich gesehen „richtig“ bzw. anständig finden, aber ist es auch wissenschaftlich gesehen berechtigt, den Kindern und Familien zunächst ein spezielles Elterntraining bzw. soziales Kompetenztraining zu verordnen?

Unser oberster ADHS-Meister Herr Döpfner ist ja Psychologe und er wird kaum behaupten, dass Elterntrainings wie das THOP oder auch soziale Kompentenztrainings überflüssig sind.

Genau zu diesem auf den ersten Blick überraschenden Ergebnis kommt aber eine Studie aus Dänemark, die sich nach einer sog. Cochrane-Studie (d.h. eine Metaanalyse aller verfügbaren Untersuchungen zum Elterntraining bzw. sozialen Kompetenztraining) mit der Frage beschäftigte, ob ein Angebot eines Elterntrainings und eines sozialen Kompetenztrainings (immerhin acht Wochen über je 90 Minuten) mit wesentlichen Themengebieten sich gegenüber einer „Standardtherapie“ im Ergebnis unterschied.

Tut es nicht. Die Studiengruppe war aber immerhin im Resultat auch nicht schlechter als die Standardbehandlung ohne Elterntraining und SKT (Soziales Kompetenztraining).

Hier ist der frei zugängliche Text und vorbildlich auch das Studienprotokoll, das sogar vor Studienbeginn publiziert wurde. Man erkennt, dass sich die Autoren bei der Entwicklung des Programms und des Studiendesigns echt Gedanken gemacht haben. Auch wenn die Studiengruppe klein ist, bestätigt sie doch das (bisher kaum bei uns zur Kenntnis genommene) Wissen, dass Elterntrainings und SKT der herkömmlichen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Methodik keinen Effekt gegenüber einer Standardbetreuung mit Medikation und Elternbegleitung / Information haben.

Will ich jetzt damit behaupten, dass Elterntraining und SKT sinnlos sind? Nein, will ich nicht. Aber es ist eben offenbar so, dass längst nicht alle ADHS-Familien das benötigen. Das zumindest sagen die Reviews, die sich mit der Gesamtzahl der Publikationen auseinandersetzen. Im Gegensatz eben zu den einzelnen Autoren, die dann immer IHR Programm an die Mutter oder den Vater bringen müssen.

Die „Standardgruppe“ erhielt übrigens eine sehr gute Behandlung. Neben einer fundierten und wöchentlich (!) kontrollierten Medikation mit Methylphenidat, Amphetamin oder Atomoxetin (Strattera) wurde eine allgemeine Gruppe für die Eltern angeboten, die man vielleicht als Psychoedukation bezeichnen kann. Sehr schön! Hier konnten sich die Eltern wohl auch austauschen und dümmer geworden sind sie dabei sicher nicht. Leider fehlt es aber genau an solchen Angeboten und Begleitangeboten, die die Familien kontinuierlich begleiten.

Im Gegensatz zur „Studiengruppe“ wurde aber eben nicht das von den Psychologen sehr sorgfältig ausgearbeitete Soziale Kompetenztraining für die ADHS-Kids bzw. im Elterntraining für die Eltern angewandt.

ADHS ist kein Mangel an Erziehung oder sozialer Kompetenz. ADHS ist kein Mangel an Wissen, sondern ein Mangel, dies auch anzuwenden bzw. umzusetzen.

Nun diskutieren die Autoren, ob man vielleicht eher auf Bindungsprobleme setzen müsste. Aber das ist im Kern auch ein alter Hut. Und erwies sich nach meiner Kenntnis ebenfalls als Irrglaube. Nicht mangelhafte Bindung ist die Ursache von ADHS, sondern ADHS verursacht häufig Bindungsprobleme. Zudem wissen wir, dass die sozialen Rahmenbedingungen auch häufig einen grossen Einfluss haben. Schulden führen beispielsweise dazu, dass die Familien aus Scham und Geldmangel sich sozial isolieren und / oder häufiger nur noch im Chat oder Facebook anzutreffen sind. Ist jetzt vielleicht sehr pauschal ausgedrückt, aber gerade Alleinerziehende mit wirtschaftlichen Problemen werden sicher in der ADHS-Population häufiger als in einer Normkontrollgruppe anzutreffen sein. Dann wird aber nicht das ADHS das Hauptmerkmal sein, sondern eben die Isolation bzw. Rückzug / Vermeidung. Hier wären natürlich auch eher sozialpädagogische Unterstützung angesagt und weniger Medikation und erst Recht keine Psychotherapie.

Ich sehe es eher so, dass man individueller schauen muss. ADHS-Therapie ist keine Massenware vom Grabbeltisch, sondern ADHS-Kinder und Familien brauchen individuell angepasste Therapiebausteine (Massanzüge). Hier kann im Einzelfall eben auch ein SKT bzw. Elterntraining erforderlich sein. Ganz klar. Aber nicht nach dem Giesskannenprinzip.

Leider werden bei uns also zunächst anerkannt unwirksame Methoden wie Ergotherapie, SKT, Elterntraining (nach THOP, Schlottke und Co) über die Familien ausgegossen und dann erst individueller geschaut, was eigentlich hilfreich wäre.

Ein Gedanke zu „ADHS Elterntraining und Soziales Kompetenztraining

  • Ein interessanter Beitrag mit einem Wermutstropfen! Die Ergotherapie sei bei ADHS nicht wirksam und werde allzu schnell verordnet.
    Natürlich kann die Ergotherapie das ADHS nicht wegtherapieren, aber welche Therapie kann das von sich behaupten? Wenn das mit der Aussage der Nicht-Wirksamkeit gemeint ist, so wird das wohl stimmen. Aber und jetzt kommt das grosse Aber: auch in der wissenschaftlichen Arbeit im Bereich der Ergotherapie wird viel geforscht und es zeigt sich immer wieder, dass wir in klar definierten Bereichen – welche mit den Eltern und den Kindern in gemeinsamen Vereinbarungen (klientenzentrierte Verfahren, wie das COSA oder das COPM) getroffen werden – deutliche Fortschritte erzielen können: sei es, dass das Kind sich am Morgen selber anziehen und für die Schule bereit machen kann, sei es, dass es im Umgang mit dem Besteck sicherer wird und weniger kleckert, sei es, dass es alleine mit dem Bus lernt zu fahren und seine Selbständigkeit erweitern kann, sei es, dass es im Bereich der Teilleistungen, welche ja bei Vorliegen eines ADHS häufig auch beeinträchtigt sind, z.B. in Mathematik sicher werden kann im Bereich der Zahlenraum-Vorstellung, sei es, dass es lernen kann, Tätigkeiten geplant anzugehen und zu beenden, auch wenn es zu Beginn denkt, Berge vor sich zu sehen. Und ganz oft kann auch der Leidensdruck der Eltern abgefedert werden, wenn wir ihre Alltags-Sorgen ernst nehmen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Ideal ist, dass die Ergotherapie oft mehr als ein Jahr dauert und so auch eine stete Begleitung möglich ist.
    Ich glaube, dass es nicht ratsam ist, die eine oder andere Therapie anzuschwärzen, denn dies verunsichert oft wieder die Eltern, welche letztlich ja darauf angewiesen sind, dass sie von ihrem Kinderarzt an fachlich kompetente Stellen weiter empfohlen werden, welche sie und ihr Kind sorgfältig und mit bestem fachlichen Wissen begleiten und fördern.

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