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Statt Verhaltenstherapie probieren viele zunächst Pillen aus …

ADHS: US-Ärzte verschreiben Kindern zu schnell Psychopharmaka
Die Zahl der ADHS-Diagnosen steigt rasant – und mit ihr die Verordnungen von Psychopharmaka. Eine Befragung von spezialisierten US-Ärzten hat jetzt ergeben, dass sich bei der Therapiewahl längst nicht alle an die Leitlinien halten. Anstelle der Verhaltenstherapie probieren viele zunächst Pillen aus. Weiterlesen. Und siehe auch hier.

Ich kann mir schon vorstellen, dass einige Ärztinnen und Ärzte zu schnell zum Rezeptblock greifen. In Einzelfällen habe auch ich schon davon Kenntnis genommen. Ohne das schönreden zu wollen, muss man auch Folgendes bedenken:

  1. Bei Vorliegen einer ADHS – und das zeigen mit hoher Evidenz sowohl klinische Erfahrungen wie auch zahlreiche Studien – erweist sich die Verhaltenstherapie ohne medikamentöse Behandlung als wirkungslos.
  2. Häufig, aber nicht immer, sind neben der medikamentösen Therapie psychotherapeutische Massnahmen angezeigt. Es kann – eine sorgfältige Diagnostik vorausgesetzt – im Einzelfall also durchaus im Sinne des Patienten liegen und seinem Wohl zuträglich sein, wenn seine ADHS-Therapie sich primär auf Medikamente abstützt.
  3. Man kann viel Gescheites über die Notwendigkeit von Verhaltenstherapie bei ADHS schreiben. Fact ist, dass es heute unmöglich ist, selbst auch einen kleinen Teil der ADHS-betroffenen Kinder verhaltenstherapeutisch zu behandeln. Gründe sind: Es gibt nur sehr wenige Verhaltenstherapeutinnen und -therapeuten, welche mit der Therapie der ADHS vertraut sind. Ausserdem muss die Verhaltenstherapie in vielen Ländern privat bezahlt werden. Zugang zu dieser Behandlungsform haben – wenn überhaupt – meistens also nur finanziell gut gestellte Familien.
  4. Das meines Erachtens ernstere Problem in der ADHS-Versorgung ist die Tatsache, dass einer qualifizierten Diagnostik immer noch zu wenig Bedeutung zukommt. Nur eine seriöse klinisch- und neuropsychologische Abklärung ergibt zuverlässige Indikationen für diejenigen therapeutischen Interventionen, welche beim betreffenden Patienten nachweislich erforderlich sind. Leider gilt auch bezüglich Diagnostik das zur Verhaltenstherapie Genannte: Es gibt viel zu wenig Psychologinnen und Psychiater, welche mit der qualifizierten ADHS­-Diagnostik (also auch der Differenzialdiagnostik*) vertraut sind.

Solange in der öffentlichen Gesundheitsversorgung nicht dafür gesorgt wird, dass Diagnostik und Verhaltenstherapie real als beanspruch- und zahlbare Dienstleistungen zur Verfügung stehen (und das ohne monatelange Wartezeiten!), wird sich bezüglich voreiliger Rezeptierung von Stimulanzien wohl wenig ändern.

Manchmal dünken mich die immer wieder aufflackernden Pressemeldungen über eine zu schnelle Medikamentenabgabe als Nebenkriegsschauplatz. Sie eignen sich bestens, um vom eigentlichen Problem der ungenügenden diagnostischen und psychotherapeutischen ADHS-Versorgung abzulenken.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich will den Ritalin-Boom nicht verharmlosen! Mir geht es vielmehr darum, diese Fragestellung nicht nur auf ideologischer, sondern auch auf ganz pragmatischer Ebene zu beleuchten.

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* Differenzialdiagnostik: Alternnative Erklärung für die Krankheitzeichen („Was könnte sonst noch eine Ursache sein?“)

6 Gedanken zu „Statt Verhaltenstherapie probieren viele zunächst Pillen aus …

  • Pingback: Anonymous

  • Sehr guter Artikel, danke! ADS und ADHS ist eben eine Aufmersamkeitsstörung und keine Krankheit, die man mit Pillen austreiben kann.. Therapie sollte eher als Lernförderung angesehen werden.

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    • „ADHS ist eben eine Aufmerksamkeitsstörung und keine Krankheit …“: Das stimmt so leider nicht. ADHS ist eine Krankheit und vielen von ihr Betroffenen können dank einer medikamentösen Basistherapie von Massnahmen zur Lernförderung profitieren. Relevant ist – und darauf weise ich seit Jahren immer wieder hin – die Differenzierung von ADHS und Aufmerksamkeitsstörungen. Letztere kann viele Ursachen haben, die ADHS ist eine der möglichen Gründe. Nur im Rahmen einer sorgfältigen klinischen und neuropsychologischen Untersuchung kann festgestellt werden, welches die Ursachen der Aufmerksamkeitsstörungen sind.

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  • Vor meine Diagnose war ich so weit von Medienbericht und einiges anders dass ich der Einahme von MPH ehe verzörgert habe und noch einiges anders probiert habem mich doch noch an zuverlässige quellen informiert habe und mich umentschieden als ich doch noch wieder im Job die übliche sehr bekannte Problemen bekommen habe…

    Ich kenne keine ADSler und keine Eltern von eine ADS-Kind der zu rasch auf Medis greift. Weder bei denen die ich persönlich kenne, noch auf Forem. Erwachsenen haben ehe genug Zeit gehabt und genug Gelegenheiten Alternativen vergeblich zu suchen und sogar bei Kindern wird ehe anders probiert und gewartet bis das Leidendruck unübersehbar wird. ADSler sind so an ihre Leiden gewöhnt dass es ihnen nicht mal so klar auffällt und der Umfeld merkt auf der erste Blick vielleicht ehe was nervt und auffällig ist, als was da hinten an Bemühungen und Stress steckt.

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  • Unsinnstifter

    Man sollte hier einfach auch mal an die systemischen Rahmenbedingungen denken.
    Es gibt in aller Regel nicht viele Anlaufstellen mit Fachärzten und vielleicht müssen auch in USA diese oft selbst gezahlt werden oder wie in D muss man auch lange warten auf richtig geschulte Fachleute.

    Gerade bei einer chronischen Störung wie der ADHS werden da vielleicht öfters Brückenlösungen getroffen, nach denen ich z.b. auch gesucht hatte, wobei ich dann zwei verschiedene Antidepressiva bekam, eines war auch noch ein Versehen, das andere hatte mich radikal sediert, was dann keinen weiteren Sinn ergab.
    Mein Ziel war es ein anderes mit MPH vergleichbares Präparat zu bekommen, was sämtliche Ärzte verweigerten ohne weitere Chance auf ein eingehendes Anamnesegespräch.

    Man sollte solche Faktoren nicht übersehen. Die Zurichtung des medizinischen Sektors in einen zunehmend industriell-genormten Sektor raubt den Ärzten die Zeit und den Patienten die Chance auf eine adäquate Lösung und dann müssen Krücken helfen.
    Geht halt am Ende darum das Betroffene ne Chance haben irgendwie zurecht zu kommen.

    Und nebenbei ist der Nährwert einer zu häufigen Verschreibung von Medikamenten lächerlich in Anbetracht der Tatsache, das Millionen Menschen zuviel Medikamente schlucken wie Blutdruck- und Statinsenker, deren Nebenwirkungen oft immens und deren Nutzen meistens lächerlich gering bzw. meistens gar nicht gegeben ist, weil er sich nur auf eine verschwindend kleine Minderheit echter Adressaten für solch ein Medikament bezieht.

    Mir jedenfalls geht die Hetze gegen die Versorgung ADHS-Betroffener nur noch auf die Nerven. Es wird auf der einen Seite über das NeuroEnhancement positiv geschrieben und Legalisierung von Drogen diskutiert, anderswo qualmen hunderttausende wenn nicht millionen Eltern ihre Kinder mit Tabak voll. Aber bei Ritalin, da ist Ende der Fahnenstange! Ich frag mich mittlerweile immer öfter wieviel wirklich von diesem medialen Gequatsche durch radikale Interessengruppen forcierte Kampagne ist.

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