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ADHS und Achtsamkeit

Achtsamkeitsbasierte Therapie (sog. mindfulness-based therapy) sind ja gerade „in“. Auf einem Symposium wurde daher im Anschluss an einen ADHS-Vortrag auch über den Einsatz von Achtsamkeitstraining bei Kindern mit ADHS diskutiert. Das ist irgendwie paradox, oder?

Kinder mit ADHS haben ja gerade das Phänomen, dass sie im HIER und JETZT leben. Das fehlende Zeitgefühl bzw. die Besonderheiten der Zeitwahrnehmung ohne Zugriff auf die Vergangenheit und die Antizipation auf die Zukunft sind ja quasi wichtige Merkmale der Achtsamkeit.

Anders ausgedrück: Ein Kind mit ADHS ist achtsam, aber hat ein Aufmerksamkeitssteuerungsproblem.

Der Grundgedanke der achtsmamkeitsbasierten Therapie in Hinblick auf die Emotionsregulation ist eben auch nicht mit ADHS „kompatibel“. Sich nicht vom Chaos kontrollieren zu lassen bzw. das Chaos zu kontrollieren, wie es beispielsweise in der DBT oder im Freiburger Konzept nach Hesslinger und Co. für Erwachsene mit ADHS propagiert wird, ist schön und gut. Aber eben auch nicht wirklich zu Ende gedacht.

Die Besonderheit liegt eben auch hier wieder darin, dass die Emotionsregulation eben anders als bei neurotypischen Menschen verläuft und von der Motivation bzw. den „Umgebungsgefühlen“ abhängig ist. So schön es ja wäre, sich davon nicht mitreissen zu lassen, so unmöglich ist es für viele ADHSler, diese Fertigkeiten aus der DBT oder dem Achtsamkeitstraining anzuwenden. Und das, obwohl sie eben gerade Profis in Achtsamkeit sind.

Man müsste sich also wieder wie ein Kind fühlen und verhalten können. Jeden Moment und jede Situation so erleben und handeln, als ob es das erste Mal ist. Kein Problem für die meisten ADHSler …

Nur ist es dann eben bei einem Erwachsenen so, dass er von seiner Partnerin oder seiner Familie als Kleinkind wahrgenommen wird und nicht mehr als Partner und Erwachsener.

Anders ausgedrückt: Man kann auch zu viel von Achtsamkeit haben und muss dann dies nicht noch durch ein Fertigkeitentraining lernen. Im Gegenteil …

7 Gedanken zu „ADHS und Achtsamkeit

  • Dieser Beitrag scheint erstmal theoretisch Sinn zu machen. Praktisch ist mir als ADSler aber Achtsamkeitstraining zu einem sehr wichtigen Hilfsmittel geworden, um meine Aufmerksamkeit zu fokussieren und besser mitzubekommen, was gerade mit mir passiert.

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  • Wenn ich mich an ds Achtsamkeitstraining in der Klinik erinnere, dann ging es dabei darum, einen Moment, etwas das ich gerade in diesem Moment tue, wirklich bewusst zu erleben und zu tun.
    Schon lange frage ich mich, ob es vielleicht unterschiedliche Definitionen von Achtsamkeit gibt.
    Das würde die Sache erschweren.
    Für mich sehe ich sowas wie „zwei Arten der Achtsamkeit“.
    Da ist die eine „globale Achtsamkeit“, eben das Leben im Hier und jetzt, das uns ADS’lern angeboren ist, da wir syndrombedingt kein oder nur ein geringes Zeitgefühl besitzen.
    Daran werde ich aber durch kein Training etwas ändern können.
    Da helfen nur externalisierte Hilfen, kleine „Prothesen“ wie mein Buchkalender oder graphische Zeitplaner, in welchem alle Abläufe möglichst genau eingetragen werden können und ich so eine Art „Bild von der Zeit“ bekomme, das ich mir im wahrsten Sinne vor Augen führen kann, da ich es innerlich nicht kann.

    Die andere Achtsamkeit ist die, welche eben auch in der Klinik im Achtsamkeitstraining geschult wurde, das „bewusste Erleben eines Momentes“.
    Ein Stück Schokolade nicht „nebenbei“ zwischen tausend anderen Dingen einschieben und gar nicht bemerken, sondern es bewusst essen und vielleicht sogar genießen.
    In etwa „Den Augenblick bewusst erleben und wahrnehmen“.

    Wir leben im Hier und jetzt und haben Schwierigkeiten mit Vorausschau und Planung etc.
    Aber auch wenn wir im Hier und Jetzt leben, so nehmen wir den Augenblick und das Geschehen dieses Augeblickes nicht oder nur sehr schwer wahr, weil wir eben unaufmerksam sind und unsere Aufmerksamkeit vielen Dingen gleichzeitig gilt und leben somit zwar im Hier und Jetzt, aber irgendwie auch wieder nicht … das klingt gewiss verwirrend und ist es für mich auch.
    Offengestanden bin ich mir nicht sicher, ob mir das Achtsamkeitstraining da wirklich so viel gebracht hat … ein wenig sicherlich schon, … das ist immerhin etwas :-))
    Liebe Grüße
    Marcus

    Antwort
  • Hallo in die kleine Runde.

    Ich kann das dick unterstreichen, wie sehr Achtsamkeit in Bezug auf sich selbst eine unglaubliche Weiterentwicklung hervorrufen kann!
    Wie reagiere ich wann wo wie, merke ich, dass ich abschweife, ärgerlich werde, unbedingt etwas sagen, tun möchte und kann dies alles bewusst lenken. Klasse!

    Mein ABER: Genau das tun viele viele Menschen eben NICHT! Mit oder ohne ADHS und Co.

    Deshalb: ALLE müssen, sollten zuerst bei sich beginnen… … Verständnis für Verschiedenheit, Anderssein aufbringen, mit oder ohne… ….

    DezemberGrüße

    Antwort
    • Ich profitiere sehr von Ashtanga Yoga, es ist physisch sehr fordernd und daher super geeignet für nen Zappelphilip wie mich. Der Unterschied zu Sport im herkőmmlichen Sinne ist eben die Focussierung auf den Atem und das bewusste Einsetzen der Atmung um das zentrale Nervensystem zu beeinflussen. Eine tolle Verbindung von Physis und Achtsamkeit, außerdem geben die festgelegten Serien im Ashtanga Yoga Struktur und Sicherheit.

      Antwort
  • Da Adhs ja bekanntermaßen selten alleine kommt, kann Achtsamkeitstraining doch durchaus hilfreich sein, oder? Ich persőnlich profitiere sehr von Yoga, was ja richtig praktiziert gleichfalls Achtsamkeitstraining ist. Kann es nicht auch sein, das ADHS’ler diese Bereiche vermeiden, weil es ihnen naturgemäß so schwerfållt zu meditieren? Ist das dann aber nicht ein bisschen so wie der űbergewichtige Bewegungsmuffel, der Bewegung meidet, weil es zumindest am Anfang so eine Quålerei ist, eigentlich aber weiss er, dass er wenigstens 2 x in der Woche Sport treiben sollte? Sollten die an buddhistischen Mőnchen durchgefűhrten Untersuchungen stimmen, werden dann nicht genau die erforderlichen Bereiche im menschlichen Gehirn „trainiert“, die in Zusammenhang mit typischen ADHS Problemen stehen? Steuerung der Aufmerksamkeit, Konzentration und Umgang mit Gefűhlen und Stimmungen. Nur mal so ne Frage. Herzlichen Gruß, der Lars.

    Antwort
  • papillonindigo

    Man müsste sich also wieder wie ein Kind fühlen und verhalten können. Jeden Moment und jede Situation so erleben und handeln, als ob es das erste Mal ist. Kein Problem für die meisten ADHSler …

    Nur wird es dann eben bei einem Erwachsenen so, dass er von seiner Partnerin oder seiner Familie als Kleinkind wahrgenommen wird und nicht mehr als Partner und Erwachsener.

    Ich finde es besonders gut auf der Punkt gebracht! Etwas dass mich auch im Moment beschäftigt.

    Sonst auch der Rest sehr interessant und lehrreich. Eine bisschen Achtsamkeit habe ich geübt und es hilft mich so weit bei dem zu sein was ich gerade mache und nicht dauernd mit die Gedanken abzuschweifeln.

    Antwort
  • Jein! Hier wäre erstmal zu klären, was unter Achtsamkeit verstanden wird. Achtsamkeit nach Ihren Worten würde bedeuten, wie ein Kind alles neu und unbefangen aufzunehmen- als ob es das Erste Mal sei..
    Und wahrscheinlich sind wirklich die meisten ADHSler im landläufigen Sinne achtsamer- weil empfindlicher/empfindsamer/berührbarer – als die meisten Menschen…

    AAABER: Achtsamkeit in Bezug auf „wann mute ich anderen (mit mir) zuviel zu, wann reagiere ich über, wann mache ich mich unnötig fertig, wann bleibe ich an Gedanken kleben, obwohl unnötig etcpp“, also Achtsamkeit dahingehend, sich selbst wahrzunehmen, gegenüber sich selbst achtsam(er) zu sein, wäre m.e. oft angebracht.. Auch DAS ist Achtsamkeit…

    es ist eben eine andere Achtsamkeit, die bei (uns) ADHSlern benötigt wird….

    Antwort

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