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ADHS und Medienverwahrlosung im Wandel der Medien

Melchior Adam Weickard  gab bereits 1775 eine schöne Beschreibung der typischen ADHS-Symptome. In seinem Buch “Der Philosophische Arzt” liest man:

“Jene, bei welchen ein Mangel der Aufmerksamkeit ist, werden gemeiniglich unachtsam, leichtsinnig, flüchtig und ausschweifend genannt(…) Man ist alsdenn, wie die Kinder, welche auf hundert Nebendinge springen, wenn man sie von einer ernsthaften Sache ausforschen oder unterhalten will. Der junge Geistliche soll z.B. über das Leiden des Erlösers meditieren. Jede vorübersumsende Fliege, jeder Schatten, jeder Laut, die Erinnerung alter Geschichten, wird ihn von seinem Gegestande auf andere Vorstellungen bringen(…) Dergleichen Leute hören alles nur halb; sie merken oder hinterbringen es auch nur zu Hälfte, oder unordentlich. Sie wissen gemeiniglich, wie das Sprichwort heißt, von allem etwas und vom Ganzen nichts. Ein solcher Springer mag sich gegen einen anderen aufmerksamen und bedachtsamen Menschen verhalten, wie ein junger Franzos gegen einen gesetzten Engländer(…)”

Wir wissen natürlich nicht, wie die Umgebungsbedingungen im Jahre 1775  nun an der Entwicklung und Aufrechterhaltung der Problematik beteiligt sein mögen. Ganz einfach war das Leben zu diesen Zeiten ganz sicher nicht.  Sicher ist aber, dass der typische hüpfende bzw. unvollständige Wahrnehmungsstil, Reizoffenheit und Probleme der Aufmerksamkeitssteuerung, Abspeichern und Zugriff auf das Arbeitsgedächtnis bzw. Selbstorganisation eben schon weit vor der Erfindung des Fernsehens oder Computerspiele zeigten.
Bleiben wir aber noch einmal kurz bei der Symptombeschreibung aus dem Jahre 1775. Dort wird nicht nur eine prima Beschreibung eines typischen ADHS-Jungen präsentiert, es wird auch neben dem häufig eingeschränkten Arbeitsgedächtnis ein häufig nicht ausreichendes Kriterium der Selbstregulations- und Aufmerksamkeitsproblematik angedeutet: Wenn von einem ADHS-Kind explizites Lernen bzw. Aufmerksamkeit gefordert ist, dann misslingt dies. Bei eigenen Interessen, bei den implizites Lernen gefordert ist, kann die Aufmerksamkeitssteuerung und Informationsverarbeitung dagegen völlig intakt, ja sogar hervorragend sein.

Nun sind neue Medien wie Handy, iPad oder PC halt viel interaktiver als die Schule. Und reizvoller. Dies vor allem dann, wenn es der Schule nicht bald gelingt, sich an die Interessen und den Lernstil von Schülern des Jahres 2014 anzupassen.

Noch im Vergleich zu meiner eigenen Grundschulzeit kommt es mir so vor, dass wir heute immer früher sehr abstrakte Lernanforderungen bzw. Anforderungen an höhere Handlungsfunktionen an Kinder stellen, die diese aber eben (noch) nicht neuropsychologisch leisten können. Eigentlich ist das fast allen Pädagogen klar, aber gerade auf die Expertise von Experten für sonderpädagogischen Förderbedarf wird nicht gehört.

Letztlich schafft unsere Gesellschaft Voraussetzungen, die ein Entwickeln und Lernen verunmöglicht, zumindest aber nicht erleichtert. Man gewinnt den Eindruck, dass man es den Kindern bewusst schwerer und schwerer macht und eher Brücken einreist als sie gemeinsam zu entwickeln.

Die Lehrpläne fordern immer stärker das Abfragen von expliziten Lernstoffen über immer mehr oder immer frühere Lernzielkontrollen.  Ich kann mich jedenfalls nicht erinnen, eine solche Häufung von Klausuren in Nebenfächern wie Musik oder Religion oder Erdkunde erlebt zu haben. Daraus resultierend werden aber immer stärker Lernen auf Arbeitsgedächtnis gefordert, da dies eben abfragbar und prüfbar ist. Stattdessen muss eine Vermittlung von Lernen zu Lernen bzw. aufgaben- und projektbezogene Kreativität zur Entwicklung eigener Lösungswege in den Hintergrund gestellt werden. Weil der Schulstoff so sei und es ja gerecht zugehen solle, höre ich dann immer wieder. Hinzu kommt, dass die Methodenvielfalt zu einem Durcheinander beiträgt. Im Blog habe ich es schon häufiger kritisiert, dass nun schon allein Methoden zum Schrift- und Leseerwerb von Klasse zu Klasse bzw. Jahrgang zu Jahrgang komplett über den Haufen geworfen werden können. Selbst die Grundschullehrerinnen meines Sohns sind damit schon überfordert …

Bei allen Forderungen nach Integration und Inklusion verlassen wir immer mehr Lernmethoden, die für Kinder mit einer ADHS-Disposition (aber auch Hochsensibilität oder Hochbegabung) geeignet wären, um sie am Lernen bzw. dem Unterrichtsgeschehen begabungsadäquat zu beteiligen.

Die Frustration beim Kind und seinen Eltern wächst. Die Kinder müssen eine enorme Kraftanstrengung aufbringen (bzw. von ihren Eltern bei den Hausaufgaben bzw. beim Lernen „gesponsert“ werden), um überhaupt ein Begreifen und Vermitteln von Lernstoff und ein Spass am Lernen zu entwickeln. Viele Hausaufgaben meines Sohnes (6. Klasse) sind mir schon so unverständlich formuliert, dass ich Kopfschmerzen bekomme.

Wie soll es da einem Kind gehen? Die Erwartung des eigenen Nicht-Verstehen bzw. Nicht-Leisten muss doch zu einer Erwartungsangst bzw. auch einer Verweigerung beitragen.

Bei Facebook habe ich sinngemäss den Spruch gelesen, dass Schule eben nicht eine Institution zum Nachweis der eigenen Unzulänglichkeiten und Abwertungen sein darf, sondern eben die Kinder in ihren Möglichkeiten und Entwicklungen fördern soll. Tut sie aber eben gerade nach dem subjektiven Erleben der Schüler und ihrer Eltern immer weniger.

Ein Abtauchen in alternative Wirklichkeiten der Medien wird da umso attraktiver. Und letztlich „gönnen“ viele Eltern daher ihren Kids halt auch diese Flucht als eine Art Ausgleich.

ADHS ist kein Mangel der Aufmerksamkeit der Eltern

Oder hängt  es jetzt vielleicht doch mit einem Mangel an Aufmerksamkeit der Eltern zusammen? Eltern im Jahr 1775 wie auch 2014 werden tatsächlich viel um die Ohren gehabt zu haben, um den Alltag zu bewältigen. Ob sie mehr oder weniger Zeit für die Erziehung bzw. emotionale Bindung ihres Zöglings hatten? Vermutlich wird 1775 aber eben doch die Grossfamilie und auch das Dorf und die Gemeinschaft eine haltgebende Funktion gehabt haben. ADHS erklärt sich dadurch natürlich nicht. Wohl aber, warum sich Auswirkungen von ADHS im Wandel der Zeiten und gesellschaftlichen Kontextfaktoren wandeln.

Wechseln wir in das Jahr 2014 / 2015.  Die gleiche neurobiologische Disposition trifft jetzt auf eine völlig andere gesellschaftliche Realität.

Medienverwahrlosung und Medienwandel oder  Ausdruck der Kapitulation  von gesellschaftlicher Verantwortung für Kinder und Jugendliche

Während wir allgemein noch auf die Medienverwahrlosung durch Fernsehkonsum und andere Abhängigkeiten aufmerksam  machen müssen, oder ich vor einigen Jahren auf das Phänomen Rollenspielsucht bzw. Computer-Spiel-Abhängigkeit z.B. durch World of Warcraft hingewiesen habe, überrollt die Veränderung der Mediennutzung alle guten Vorsätze von uns Eltern oder Therapeuten

Ein 11 oder 12 jähriger Junge  interessiert sich aber herzlich wenig für diese veralteten Medien wie die Glotze. Er konsumiert am Tablet oder PC offenbar überwiegend You-Tube-Video-Kanäle (von Spielvorstellungen und / oder sonstigen mir völlig unbekannten Internetgrössen) während er am Handy Mindcraft oder Cash of Clans spielt.

Wenn man sich die Zugriffszahlen entsprechender „Channels“ im Internet  anschaut, wird deutlich: Wer hier nicht dabei ist, kann am nächsten Tag in der Schule nicht mitreden. Ist out.  Und es wird deutlich, dass heute nicht nur der Inhalt der Medien oder die Reizüberflutung an sich eine Rolle spiele. Immer häufiger werden verschiedene Medien gleichzeitig aufgenommen.

Diese Medien bedienen aber die Interessen und letztlich auch Begabungen der Kinder. Sie fördern zunächst die eigenen imaginativen Stärken von Fantasiewelten ohne Anforderungen an explizites Lernen.

Multitasking nimmt immer weiter zu
Dieses Multi-Tasking der Wahrnehmungen muss aber gerade bei einer ADHS-Disposition zu Problemen führen. Nachollziehbar sind die Inhalt der neuen Medien Computer oder Internet eben weit „reiz“-voller als das „first life“ der Alltagsanforderungen in der Schule oder Kontakt- und Spielmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche. Die eigene Kreativität bzw. Fähigkeit der Imagination und Kreativität zur Entwickung von eigenen Spielmöglichkeiten oder Spielen (z.B. im Wald) ist immer weniger gefragt.
Es kommt aber eben gar nicht mehr so sehr auf die Inhalte des Erleben  an, sondern auf die Vielzahl gleichzeitig ablaufender Reize. Und immer weniger treffen sich Kinder und Jugendliche auf der Strasse zu Spiel, die Verabredungen laufen über über Chat / Whatsapp, ja selbst Facebook ist schon wieder out.

Und der Wandel der Medienkonsumgewohnheiten wandelt sich somit schneller, als wir Eltern bzw. Therapeuten nachvollziehen  können. Gleichzeitig bauen Städte und Gemeinden Angebote für Kinder und Jugendlichen zum Treffen ab. Angeblich sei kein Geld da bzw. die Angebote würden nicht genutzt.

Und unsere Gesellschaft reduziert die Alternativen für eine sinnvolle Freizeitaktivierung bzw. soziale Kontakte von Kindern und Jugendlichen von Monat zu Monat. Ein Blick in die Tageszeitung genügt um wieder eine Schliessung eines Jugendzentrums  oder Reduktion des Angebotes einer Musikschule zu lesen. Bibliotheken stehen ebenso auf der Streichliste der Politiker, aber welcher Jugendliche liest heute noch eine Zeitschrift oder gar ein Buch?
Sportvereine finden keinen Nachwuchs. Klassenfahrten werden gestrichen, weil die Lehrer dafür keine Entlohnung erhalten oder sich überfordert mit den Anforderungen sehen.

Zeitarmut  beginnt schon im Kindesalter
Eine Chance für Aktivitäten im Verein oder Freiwilliger Feuerwehr oder das Reiten am Nachmittag? Wie denn, wenn die Schule immer länger dauert ? Gerade für Kinder mit Entwicklungs- und Verhaltensproblemen wie bei ADHS kommt dann noch die Therapie bei der Ergo und / oder Logopäden hinzu.

Es geht mir hier nicht allein um das Jammern darüber, dass die Angebote fehlen. Viel schlimmer finde ich, dass das soziale Lernen in der Gruppe bzw. auch die Lösung von eigenen Konflikten und Entwicklungsaufgaben eben in einer Gemeinschaft von Kindern und Jugendlichen unterschiedlichen Alters viel besser gelingen würde, als nun beim Familientherapeuten oder einer Erziehungsberatungsstelle. Aber diesen sozialen Raum, wo man es lernen und anwenden könnte,  gibt es nicht mehr. Oder immer weniger.

Das Handy, das Tablet oder der PC sind jederzeit anschaltbar bzw. schon „online“.

Kinder und Jugendliche sind heute nicht nur einem Medienüberfluss ausgesetzt, es besteht ein Mangel von sozialen Gemeinschaftserlebnissen. Unsere Gesellschaft versagt ganz offenkundig hier eine Weiterentwicklung bzw. überhaupt ein sinnvolles Angebot von sozialer Teilhabe von Kinder- und Jugendlichen anzubieten bzw. zu fördern.
Während sich die Medienrealität also schneller verändert als uns lieb sein kann, ist das gesellschaftliche Angebot für die Förderung der Aufmerksamkeit und sozialen Kompetenz am Stagnieren, ja wird kontinuierlich zerstört.

Soll man nun den Kindern und Jugendlichen oder ihren Eltern daran die Schuld geben, dass sie dann die sozialen Kontaktmöglichkeiten bzw. Medien nutzen, die wir ihnen als Eltern vormachen ? Welche Alternative haben sie denn ? Wie könnte man Kinder sinnerfüllend beschäftigen und Ihnen eine Entwicklung der Persönlichkeit über Spiel und soziale Kontakte ermöglichen, die den Begriff von „Frei-Zeit“ noch erfüllt und die bessere Alternative zu neuen Medien darstellt?

Mentoren für projektbezogenes Lernen und Erleben

Eltern von ADHS-Kindern und Jugendlichen machen die frustrierende und teure Erfahrung, dass sie ihren Kids etliche Freizeit- und Sportangebote anbieten. Etliche Musikinstrumente oder Hobbies werden einmal kurz angefangen, dann aber schnell abgebrochen. Zumeist misslingt die Integration in die Gruppe der Gleichaltrigen.

Kinder und Jugendliche mit einer ADHS-Konstitution profitieren vom Erleben bzw. einem projektbezogenem Zugang. Dabei benötigen sie aber eben häufig eine Art Kapitän oder Lotsen, der sie behutsam aber bestimmt in die richtige Richtung lenkt und auf Kurs hält. Vielleicht auch einmal mehr als sonst bei anderen neurotypischen Kindern den Cheerleader spielt und neu motiviert. Und der oder die eben mit den syndromtypischen Besonderheiten der Wahrnehmung und Emotionsregulation vertraut ist und bei emotionalen Abstürzen oder Blockaden aufmunternd eingreifen kann.

Leider kann man diese Qualifikationen von Betreuern nicht zwingend an Abgangszeugnissen festmachen. Ich bin aber davon überzeugt, dass unser Vereinswesen bzw. etliche Organisationen wie Freiwillige Feuerwehr, THW oder Rotes Kreuz ohne das Engagement von ADHSlern schon längst verschwunden wären. Hier könnte man vermutlich entsprechende Personen finden, die aus eigener Betroffenheit bzw. Erfahrung mit eigenen ADHS-Kindern als Mentor eine solche Integrationsaufgabe einnehmen können.

Jugendfreizeiten für ADHS und Asperger
Ich kann Eltern nur empfehlen, sich einmal eine Jugendfreizeit für ADHS- und Asperger-Kinder und Jugendliche anzuschauen (beispielsweise bei Tokol eV.). Dort erlebt man dann ADHSler, die durchaus sich auch Medienüberfluss sinnvoll in Projekten beschäftigen. Projektbezogenes Arbeiten bzw. Lernen macht Spass und fördert einerseits die Neugier und damit das Lernen, noch stärker aber das Gemeinschaftserleben. Zugegeben, auch hier spielt die „Gameboy-Zeit“ (noch so ein Relikt aus scheinbar lange vergessenen Medienzeiten) eine wichtige Rolle. Aber sie ist klar begrenzt und dient auch oder gerade als Motivator bzw. Belohnung für soziales Miteinander und Füreinander.

Welche Alternativen seht IHR ?

Jammern und Wehklagen über den derzeitigen Status-Quo ändert natürlich wenig. Die Frage von sinnvollen und vor allem sinnerfüllten Alternativen für eine Beschäftigung von ADHS-Kindern (und ihrer neurotypischen Geschwister und Schulkameraden) stellt sich. Mich würden Eure Erfahrungen und Anregungen für eine Alternative zu Android, iOS und YouTube bzw. andere Online- und TV-Aktivitäten interessieren.

Welche Wege habe sich für Eure Kids als erfolgreich erwiesen?

4 Gedanken zu „ADHS und Medienverwahrlosung im Wandel der Medien

  • Minecraft ist tatsächlich ein guter Übungsraum für soziale Fertigkeiten.
    Außerdem kann man gehen, wenn einem das „da draußen“ zu viel wird.

    Und Schule??? Eine Neverending-Story……….
    Meine vier Asperger, zT. mit ADS oder ADHS und Hochbegabung, tja……… denen tut das System Schule nicht gut.

    Es fordert soziale Anpassung, wo die Kinder es noch nicht können. Arbeitshefte der zweiten Klasse weisen im Selbstlern(versuch) Formulierungen auf, die ich grundsätzlich umformulieren muss. Freiarbeit und Selbsteinteilung der Hausaufgaben ist ein weiterer Baustein, der einen in den Wahnsinn treiben kann. Gruppenarbeiten in der 6. und 7. Klasse werden zur Dauerbeschäftigung der Eltern, denn entweder fahren sie oder sie „über“wachen den Arbeitsfortschritt. Und auch in der 10. Klasse ist die Übersetzung von Aufgabenstellungen immer noch meine Arbeit. Denn Lehrer sehen sich nun nicht mehr in der Pflicht und Schuldigkeit, den Schülern mit einfachen Formulierungen zur Seite zu stehen.

    Langtage an der weiterführenden Schule, plus Therapien und vielleicht noch ein Verein. Dann ist die Luft raus. Der Rest an Zeit wird zur Regeneration benötigt. Und ein Ganztag mit vielleicht interessanten Beschäftigungen am Nachmittag wird durch den sozialen Stress ad absurdum geführt. Denn wo früher sich Die zusammenfanden, die miteinander klar kamen, wird der Klassenverband über Gebühr zusammengepfercht. Erholung und Ruhe kommt da nicht vor.

    Wie man es ändern könnte?? Gebt den Familien etwas mehr Raum und den Kindern Zeit zur Entwicklung. Denn selbst neurotypische Kinder sind mit diesem System mehr und mehr überfordert. Freundschaften außerhalb des Klassenverbandes können nicht gepflegt werden und innerhalb des Klassenverbandes gibt es diese leider selten. So sehr man den Ganztag für einiges befürworten mag, im Sinne und zum Nutzen der Kinder ist er NICHT.

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  • Danke für diesen mir sehr aus der Seele geschriebenen Artikel. Alternativen? Ich weiß keine. Meine Kinder (ADS, HFA) kommen viel zu spät am Tag völlig erschöpft aus der Schule. Ich setze mich dann hin, sehe mir (für das langsamere der Kinder) die Schulinhalte durch und bereite sie ihm weniger abstrakt und verständlicher auf, um sie ihm an einem der vielen Tage, an denen er mit Migräne zu Hause ist, früh, bevor ich ins Büro rase, beizubringen. Und freue mich riesig, wenn ich im Netz Seiten finde, auf denen das schon jemand getan hat, so dass ich nicht den gesamten Stoff umstricken muss.
    Eigentlich sollten die Kinder rausgehen. Draußen ist aber kein Kind über Kindergartenalter. (Bei uns in der Großstadt nicht, bei meinen Eltern auf dem Land auch nicht.)
    Die Kinder treffen sich in Minecraft – ausgesucht als Alternative zu den Ballerspielen der Klassenkameraden, nach einer langen gemeinsamen Spiele-Testreihe. Was gefällt ihnen daran? „Dass man gehen kann, wohin man will. Dass man was bauen kann. Dass man Abenteuer erleben kann. Dass man Kumpels treffen kann. Dass man immer selbst entscheiden kann, was man tut.“ (Also genau das, was ich in meiner idealisierten Kindheitserinnerung mit „draußen spielen“ verbinde – wohl wissend, dass ich dieses Idealbild aus Büchern hatte und draußen auch meistens in Gedanken versunken rumgelaufen bin, weil auch der Acker draußen jemandem gehörte, der nicht erbaut war, wenn man da anfing, Löcher zu graben).
    Was tun wir Eltern also? Wir spielen mit, wenn wir Zeit haben. Wir testen gemeinsam Server. Wir robben uns gemeinsam an Java-Programmierung ran. Und wir beobachten fasziniert, wie unser Jüngster sein für die Schule völlig unzureichendes Sozialverhalten verbessert. Denn: man kann im Spiel die Perspektive wechseln: „Na, da drück ich auf F5 und dann seh‘ ich ja, wie ich für die anderen aussehe. Und wenn ich dann merke, dass ich mich verhalte wie bekloppt, dann mach‘ ich was anderes.“
    In den Schulferien, wenn die Kinder erholt sind, ist auch mal Raum für gemeinsame Unternehmungen. Aber die Krake Schule frisst außerhalb der Ferien alles auf. Und ich würde die Tage bis zur vollendeten Erfüllung der Schulbesuchspflicht zählen, wären es nicht noch so entsetzlich viele. (Ich bin, mit vergleichbarer Konstitution, gerne zur Schule gegangen – aber da war Schule auch um 13 Uhr zu Ende und die Anforderungen an Sozialverhalten, Abstraktionsvermögen, Handlungsplanung, Eigenorganisation, Eigenmotivation wesentlich geringer. Wir mussten nur mehr lernen)

    Antwort
  • Ich finde diesen Kommentar SUPER!!!! Danke
    Leider beherrschen auch die Worte „Egoismus“ und „Selbstverwiklichung“ unsere Gesellschaft.

    Antwort
  • Unsinnstifter

    Stärkt das soziale Bewußstein eurer Kinder, damit sie nicht in den Fangstricken derer landen, die das soziale Leben als einen Selbstbedienungshof für ihre monetären Interessen sehen. Das ist auch ein Problem der Schulen, der Medien etc. Der verfallende Staat, der nun immer weniger Macht über die Individuuen hat, die sich eher den Rattenfängern zuwenden, weil sie ihre innere Leere oder die Enttäuschung des letzten Rattenfängers nicht ertragen.

    Helft euren Kindern die Familienstruktur kennen zu lernen als einen Hort der Liebe, der Fürsorge und SIcherheit, vor allem der intrapsychischen Sicherheit! Zerstört sie nicht indem ihr eure Kinder als Besitz mißbraucht, wie es die Kapitalmärkte und Reklameindustrie, die Spieleindustrie und die gesamten medialen Abkömmlinge tun.
    Helft Ihnen diese Zusammenhänge zu verstehen und ihnen eine intrapsychische Stabilität und damit eine hohe Resilienz zu bieten, die sie wirklich brauchen können, gerade bei ADHS oder Asperger, wenn die Internalisierungsfähigkeit gestört ist, muss man doppelt soviel Wert darauf legen.
    Das funktioniert natürlich nur, wenn Eltern die Gefühle, die Identitätsaneignung den Lebensraum ihrer Kinder schätzen, respektieren und in einem sinnvollen Verhältniss auch teilen möchten.

    Wenn Ihr euch nur noch Sorgen darüber macht, ob eure Kinder für die Gesellschaft noch passend gemacht werden können, dann habt ihr andere Probleme und nicht ADHS.

    Beste Grüße

    Antwort

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