AllgemeinAus der ADHS-Forschung

Schattensyndrome von ADHS und Auswirkungen im Erwachsenenalter

Gerade hier im Blog haben wir ja interessante Diskussionen über das Für und Wider von strengen oder wenigen „rigiden“ Diagnosekritiererien bei ADHS im Kindes- oder Erwachsenenalter geführt.

Nun ist mir eine interessante Studie aufgefallen, die sich in einer Verlaufsuntersuchung mit den Auswirkungen von psychiatrischen Erkrankungen mit Beginn im Kindesalter auf die späteren Funktionsfähigkeit bzw. Lebensereignisse im Erwachsenenalter beschäftigt. Der Begriff „Schattensyndrome“ habe ich jetzt von Ratey und seinem Buch über Verlaufsformen von psychiatrischen Erkrankungen übernommen, die eben gerade nicht die vollen diagnostischen Kriterien erfüllen, sehr wohl aber zu Beeinträchtigungen führen.

Anders ausgedrückt : Nur weil ein Klient nicht alle Kriterien in einem Fragebogen als erfüllt angibt, muss er noch nicht beschwerdefrei sein.

Zurück zur Great Smoky Mountains Studie von Copeland aus North Carolina.

Dabei wurden insgesamt 1420 Kindern im Alter von 9, 11 und 13 Jahre über 17 Jahre nachuntersucht. Speziell wenn sie 16, 19, 21 und 25 Jahre alt wurden.

Es geht dabei (soweit ich weiss nach DSM-III-Krtierien) um Diagnosen wie Depressionen, Angststörungen und eben ADHS.

Untersucht wurde, wie sich nun diese Kids mit einer diagnostizierbaren „Störung“ nun in Hinblick auf als „ungünstige Lebensereignisse“ bezeichnete Erlebnisse wie Suchterkrankung, Inhaftierung, Teenagerschwangerschaft oder Schulabbruch entwickelten.

Wenig überraschend : Kinder bzw. Jugendliche mit einer psychiatrischen Diagnose zeigten 6 mal häufiger als neurotypische Kinder eins dieser Ereignisse und sogar 9 mal häufiger 2 oder mehr derartiger Zusatzprobleme bzw. Folgen.

Das war durchaus schon bekannt (und ich glaube, ich habe es hier auch schon einmal aufgegriffen)

Was mich nun auch neugierig machte, ist die Zusatzauswertung bei den „sub-threshold cases“. Damit sind eben Kinder gemeint, die nicht die vollen Kriterien der psychiatrischen Diagnose erfüllten, aber eben doch psychiatrische Auffälligkeiten aufwiesen.

Auch diese – ja definitionsgemäss „gesunden“ – Probanden wiesen dreimal häufiger eines dieser negativen Lebensereignisse als die Normalpopulation auf und immerhin 5 mal häufiger 2 oder mehr ungünstige life-events.

Übrigens hatten auch nur 40 Prozent der „diagnostizierten“ Kinder und Jugendliche überhaupt irgendeine Form von Therapie erhalten. Und diese Behandlung erwies sich dann als keinesfalls als ausreichend (z.B. Beratungsgespräch in der Schule mit Schulsozialarbeitern).

Diese Ergebnisse waren unabhängig von psychiatrischen Erkrankungen im Erwachsenenalter oder psychosozialen Umgebungsfaktoren wie familiäre Dysfunktion, sozio-ökonomischer Faktor, Misshandlungen in der Kindheit oder Familieninstabilitäten etc.

Copeland und Mitarbeiter gehen davon aus, dass diese Art von psychiatrischen Auffälligkeiten in der frühen Kindheit quasi die Wegbereiter bzw. eine Art Schiene für eine ungünstige weitere Entwicklung ist, die man nur schwer wieder verlassen kann.

Wo aber ja wohl gerade therapeutische Intervention wichtig und erfolgsversprechend sein könnte.

Copeland vergleicht es (einmal mehr) mit einem Eisberg. Einige dieser Kinder fallen quasi als Spitze des Eisberges dadurch auf, dass sie die psychiatrischen Kriterien für „Störung“ erfüllen. Weit mehr sind aber unter der Oberfläche zunächst nicht erkennbar.

Die Studie wird übrigens fortgesetzt. Aktuell werden die jetzt 30 jährigen Probanden nachbefragt. Die Autoren hoffen, dass sie Faktoren für einen günstigen und eben ungünstigen Verlauf näher differenzieren können.

3 Gedanken zu „Schattensyndrome von ADHS und Auswirkungen im Erwachsenenalter

  • Sehr interessant, danke für den Hinweis auf diese Studie.

    Ich habe auf Basis meiner Erfahrung als Ärztin mit Fachschwerpunkt AD(H)S ebenfalls deutlich den Eindruck, dass Defizite der Automatischen Selbstregulation (ASR), deren bekanntester Verhaltenskomplex als AD(H)S bezeichnet wird, weitaus häufiger sind als derzeit bekannt, und speziell die „erfolgreich kompensierten, „maskierten“ und „subklinischen“ Fälle werden nie als solche erkannt und münden beinahe zwangsläufig in eine Depression, die dann typischerweise als „idiopathisch“ eingestuft wird, weil die Betreffenden vorher ja als „gesund“ galten. Sie waren zwar „noch gesund“, hätten aber lange vorher schon als vulnerabel erkannt werden und entsprechend zur Lebensführung beraten werden können.

    ASR-Defizite sind schon insofern weit verbreitet, als wir gesellschaftlich-politisch-finanziell für familiäre Bedingungen gesorgt haben, die die Entwicklung der ASR beeinträchtigen oder sogar untergraben. Menschen mit guter ASR sind inzwischen eine Minderheit, weil wir die Zusammenhänge noch nicht erkannt haben und es keinerlei Willen zur Umsetzung der daraus ableitbaren Forderungen gibt. Die ASR zu fördern wäre sinnvoll, ist aber „unmodern“!
    Für das optimale Ausreifen der ASR (ausgehend vom genetisch basierten Niveau) sind die evolutionär gemeinten Aufwachsbedingungen erforderlich: Ca. 3 Jahre Erziehung durch Mutter (und Vater), Tragen, Stillen, Co-Sleeping, etc. . Zu dieser Art der Fürsorge jedoch werden junge Eltern in unserer Gesellschaft nicht nur nicht ermutigt, sie werden geradezu zum Gegenteil davon angehalten bzw. finanziell sogar genötigt, z.B. in Form der subventionierten U3-Betreuung bei gleichzeitiger gravierender finanzieller Benachteiligung von Familien in den Steuer- und Sozialversicherungssystemen.

    ASR-Defiziten, also auch AD(H)S – mit allen Verhaltensproblemen und späteren Folgeerkrankungen – werden derzeit staatlicherseits zwar unbeabsichtigt jedoch systematisch, nein, geradezu aktiv, gefördert! „Drahtzieher“ dieser Fehlentwicklung zu lebenslangen Lasten von Gesundheit und Glücksfähigkeit ist ein unheiliges „Amalgam“ aus Ökonomismus und „Fossilfeminismus“ („Schwarzerismus“).

    Menschen sind – wie alle höheren Primaten – „gemeinte Einlinge“ und „Traglinge“, an diesen biologischen Grundbedingungen ändert auch noch so viel Gender-Mainstreaming nix, das bedeutet, eine vollumfängliche, optimale ASR-Entwicklung erfordert wesentlich mehr Mutter-Kind-Zeit, mehr Körperkontakt und mehr zuverlässige feinfühlige Zuwendung als die allermeisten Menschen in den westlichen Industrienationen bekommen. Eine völlig andere Familienpolitik, angefangen z.B. mit echter finanzieller Gleichstellung von Eltern und Kinderlosen, Anerkennung innerfamiliärer Arbeitsleistungen und guter Information aller Eltern zur Wichtigkeit ihrer Position gegenüber kleinen Kindern, wäre nicht nur gesundheitlich dringlich sondern – langfristig – sogar ökonomisch und demographisch die mit Abstand vernünftigste Politik.

    Antwort
    • Eigentlich müsste man diesen Kommentar als eigenständigen Gastbeitrag für den Blog nutzen bzw. ggf. noch kurz weiter erklären, was nun ASR bedeutet. Aber natürlich volle Zustimmung ! Danke !

      Antwort
    • Unsinnstifter

      Die Politik kann das nicht leisten. Denn die Wesensart der Politik eines Landes entspringt doch vor allem dem sozialen Charakter, der landestypischen Mentalität und konstruiert sich aus dem vorhandenen Mitteln und Methoden der gesellschaftlichen Planung, Führung und Struktur.

      Die Politik ist doch Machtlos gegenüber der inneren Einstellung, die Menschen praktizieren. Viel mehr ist diese ist der ausschlaggebende Punkt ob Menschen sich Menschen annähern oder spalten und ausbeuten.
      Natürlich haben Sie Recht mit Ihren Äußerungen. Wichtiger als von der Politik umögliches zu fordern, wären Hilfs und Lehrangebote für Mütter und Väter.

      Aber gerade auch der Content, den Sie hier vortragen ist vielerorts Kassenschlager und am Ende gehts darum die Kinder zu lieben und ihnen diese Zuneigung auch zu zeigen. Das ist unpraktisch im ökonomischen Verwertungsbetrieb, es kostet Zeit, braucht Langsamkeit und Räume zur Realisation. Vielmehr jedoch braucht es „unbeschädigte“ oder zumindest sich bewußt auseinandersetzende Menschen, die sich um ihren Nachwuchs bemühen und emotional Präsent sind und ihre Rolle als Eltern bewußt und selbstbewußt wahr nehmen.

      Dafür bräuchte es jedoch soziale und wirtschaftliche Sicherheiten gerade für Eltern, die viele nicht haben. Es braucht ein Mindestmaß an Bildung und Verständniss für sich Selbst und Andere und nicht zuletzt auch empathische Grundfähigkeiten, die viele Menschen schon nicht haben, weil sie selbst soviel Bedürftigkeit aus ihrer Kindheit und Jugend übrig behalten haben und es nicht schaffen sich aus den Verstrickungen schädlicher Beziehungenstrukturen zu lösen. Hinzu kommt die boshafte Art und Weise, mit der Ausbeutung heute im Nachmittagsprogramm vielfach ausgestrahlt wird und zur Normalität erklärt.
      Den Menschen fehlen also auch soziale Kompetenzen und emotionale Reife damit sie umsetzen können, was Sie sich wünschen Frau Böhm. Das kann die Politik nicht erzwingen. So etwas kann man zwar zu fördern versuchen, aber nur durch Rahmenbedingungen, die Geld kosten und völlig dem Zeitgeist zuwieder laufen.

      Die Forderungen an die Politik wären sinnvollerweise eher darin investiert, zu verhindern, das wieder eine ganze Generation von Kindern noch stärker ihren Eltern und ihrer sozialen Entwicklung entfremdet werden durch Kita und Co oder die nächste ökonomische Ausbeutungsstufe um eine weitere Verrohung der Gesellschaft auszubremsen. Auch die Verrohung und Verarmung durch soziale Rollenleitbilder wie Vater und Mutter, ihre Aushölung und der Ausverkauf der letzten Schamesgrenzen durch Gender-Mainstreaming und „Sexkultisten“, die ihren speziellen Lebensstil über politische Ämter in die Schulen und damit in die Köpfe der Kinder tragen, ihre Entwicklung stören und die Gesellschaft aus der Familienorientierung herausreißen wollen.

      Aber da sehe ich eher das Gegenteil auf unsere Gesellschaft zukommen. Ökonomische Bedingungen, globale Wirtschaftskonkurrenz, Staatenkonkurrenz, ideologische Entwicklungen und mehr.

      Trotzdem viel Erfolg für ihre Bestrebungen Frau Böhm.

      MFG

      Antwort

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