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Sinn und Zweck von ADHS-Medikamenten

Gestern habe ich einen Patienten neu aufgenommen. Er war u.a. vor wenigen Monaten wegen ADHS und Depressionen in Bad Bramstedt. Keine schlechte Adresse. Zuvor bei einem auf ADHS spezialisierten Hausarzt, der eng mit Cordula Neuhaus zusammenarbeitet. Auch keine Anfänger.

Seine Psychiaterin hat nun die Medikation komplett geändert und kombiniert 3 Antidepressiva mit einem Phasenprophylaktikum. Soweit kann man darüber ja diskutieren.

Nun schreibt Sie aber auf den Verordnungszettel für den Patienten, der mehr an mich gerichtet ist, dass jegliche Veränderung dieser Medikation sofort zur Suizidalität des Patienten führen würde. Und damit kontraindiziert = verboten ist.

Ich darf / soll / also nichts ändern.

Nun ja. Ich dränge mich ja nicht auf.

Frage also meinen Patienten, was das Rational hinter den 3 Antidepressiva sei.
1. Buproprion sei das Managermedikament. Es habe schon vielen geholfen. Sei jetzt aber so hochdosiert, da könne man nicht höher gehen. Davon nimmt er also 3 Tabletten.

2. Duloxetin 120 mg hätte er bekommen, warum wisse er aber auch nicht. Mache 2 Tabletten am Tag

3. Remergil bekomme er wohl zum Schlafen . 1 Tablette

und 4. Pregabalin : Weil er Stimmungseinbrüche hat. Nochmal 2

ADHS-spezifisch ist das nicht. Das stört aber ja keinen grossen Geist. Und ehrlich gesagt, war die vorherige „ADHS-Medikation“ auch nicht der Bringer, bzw. aus meiner Sicht (und in Übereinstimmung auch der Kollegen in Bad Bramstedt) zu hoch dosiert und eben auch schon ein bunter Medikamenten-Cocktail.

Sie hat aber die ganzen Pillen aus BB nun mit einem neuen Cocktail ersetzt.

Da aber die Ärztin auch nicht weiter wisse, habe sie gesagt, dass er nach dem Aufenthalt in der REHA dann nach Würzburg in die Psychiatrie solle…

Echt jetzt ?

Da fällt mir in der Ärztezeitung ein Artikel in den Blick, wonach Sinn und Zweck jeder dritten Arznei vielen Patienten unklar ist. Und ich glaube, auch vielen Ärzten.

Es bezieht sich zwar auf ältere Patienten, die dauerhaft 5 oder mehr Medikamente einnehmen müssen. Aber bei uns ADHSlern verliert man ja auch mal den Überblick, ob und welche Medikation man nun genommen hat und wofür.

Zumindest finde ich, dass man die ADHS-Medikation (oder meinetwegen Medikation gegen „Depression“) so simpel wie irgend möglich machen sollte. Studien belegen nämlich, dass die Polypharmazie nun ganz und gar nicht mehr hilft, sehr wohl aber mehr Wechselwirkungen und damit potentielle Nebenwirkungen macht.  Gerade bei Depressionen.

Und wir wollen nicht vergessen, dass sich viele depressive Menschen nun gerade mit einem Medikamenten-Cocktail umbringen wollen.

Ganz zu schweigen von dem Problem, dass man ja daran denken muss, dieses ganze Pillenzeug einzuwerfen. . Wenn man aber nun locker 5 oder mehr Tabletten zu 4 Zeiten am Tag einnehmen könnte, wäre man schon als neurotypischer Mensch eine Ausnahme. Das bekommen nämlich nur ganz ganz wenige Patienten hin.

Das als ADHSler zu schaffen, würde für mich Zweifel an der Diagnose aufkommen lassen (Ausnahmen mit sehr zwanghaften Menschen bestätigen hier die Regel).

Ich würde als mal annehmen, dass man so eine Verordnung gar nicht einnehmen wird / kann.
Logische Überlegung dahinter :
Tabletten, die man aber nicht einnimmt, wirken relativ schlecht bis gar nicht. Verursachen aber auch keine Nebenwirkungen.

Was sich dann viele meiner Patienten auch denken und eben die Tabletten da lassen, wo sie herkommen : In der Schachtel.

Nur 15 Prozent von Patienten einer Hausarztpraxis mit einer Multimedikation haben eine Ahnung, wofür die Tabletten sein könnten. Es gibt da dann arme „Würstchen“, die müssen nicht nur 5 Tabletten, sondern sogar 10 oder noch mehr verschreibungspflichtige Tabletten schlucken (und dazu wohl noch einige frei verfügbare Mittelchen und Nahrungsergänzungspräparate als Empfehlung gegen die ganzen Nebenwirkungen).

Männer sind da schlechter als Frauen. Und wenn man nicht eine Partnerin hat, die die Medikamente verwaltet, ist Mann noch schlechter dran.

Oder auch nicht, da ja auch den Ärzten offenbar der Sinn der Multimedikation sich nicht erschliesst.

Ich habe versucht zu verstehen, wofür die Medikamente gedacht sein könnten. Und gestern ist dann bei mir ein langes Schweigen entstanden. Wer mich kennt weiss, das passiert nicht häufig.

In meinem Praktischen Jahr (PJ) hat der damalige Chef der Inneren Medizin Prof. PG Lankisch und eingehämmert : Mehr als 7 Tabletten am Tag kann kein Mensch einnehmen.

Für ADHSler (oder auch Patienten mit Depressionen)  würde ich diese Zahl mal locker niedriger ansetzen.

Eine ADHS-Medikation muss idiotensicher sein. D.h. auch der dümmste Psychiater oder Hausarzt müsste mir angeben können, warum er wofür die Medikamente verordnet.

Wenn er das nicht kann, sollte er sich aus dem Geschäft zurückziehen, weil er dann eine Gefahr für die Gesundheit seiner Patienten darstellt.

Dann lieber KEINE Medikamente als so eine Quacksalberei mit ganz vielen Tabletten aus verschiedenen Schubladen.

Ich weiss immer noch nicht, wie ich mich da weiter verhalte. Denn der Patient wird ja so einfach keinen anderen Psychiater finden. Und wird dann weiter irren bzw. weiter mit Try and Error behandelt werden.

Das hat mit Psychiatrie bzw. Pharmakotherapie nichts zu tun, oder ?

Ratlos in Rosche….

6 Gedanken zu „Sinn und Zweck von ADHS-Medikamenten

  • Jörg Dreher

    Es ist doch immer spannend ob sich die eigenen Vermutungen bestätigen. Ich werde häufig überrascht !

    Antwort
    • Ich habe jetzt einen netten Kollegen empfohlen bekommen. Aber erstmal werde ich schon versuchen, mit der Kollegin zu reden. Dümmer werden kann man ja nicht.

      Antwort
  • Unsinnstifter

    Fachlich kann ich da natürlich nicht viel zu sagen. Eines fällt mir aber doch ein. Das Prinzip Hoffnung. Das Gefühl gut aufgehoben zu sein.
    Machen wir uns nichts vor. Solche Fälle zeigen deutlich, das auch Ärzte mit diesem Prinzip Hoffnung die Medikationen durchtesten, müssen sie ja auch. Einfach etwas zusammenwürfeln und dann mal sehen. Der Arzt will ja helfen, das es dem Patienten besser geht. Dafür gibt er Medikamente. Manchmal viele Medikamente. Nun kommts auf den Patienten an, ob ihm das ein eher gutes oder eher ungutes Gefühl vermittelt.

    Es kann hier ein Fallstrick sein, aus Prinzip zu medikationskritisch zu sein. Nicht nur Placebo sondern auch der böse Nachbar Nocebo sollte bedacht werden.
    Der Leitbegriff kann nicht alleine sein: „So wenig Medikamente wie möglich!“ der Leitbegriff sollte sein: „Medikation so gut wie möglich für den Patienten!“ Und wenn der auch bei mehreren Medikamenten gut klar kommt, keine Nebenwirkungen hat, dann muss nicht unbedingt etwas geändert werden nur um einem Prinzip gerecht zu werden.
    Mit Bedenkenträgerei gegenüber einer verträglichen Medikation führt man den Patienten vielleicht in Zweifelei über das Verfahren und der Nutzen der Medikation wird dadurch beschädigt.

    Um ADHS Patienten zu helfen mit der Organisation bei der Medikation kann es nützlich sein Medikamentenportionierer zu empfehlen / abzugeben.
    Kann mich täuschen, aber hatte mal was gelesen bei Apotheken direkt vorportionierte Medikation bestellen zu können. Vielleicht eine Option zur Hilfe bei ADHS Patienten?

    Antwort
  • Jörg Dreher

    Ich würde einen Telefonkontakt herstellen, vorher die Meinung (Compliance) des Patientin genau erfassen und dann eine Vereinbarung für eine Reduzierte Medikation mit der Psychiaterin machen. Sie will auch ihre Angst vor dem Suicid des Patienten teilen, nicht alleine tragen müssen, darum auch nochmals eine Klinik nach der Klinik.

    Antwort
    • Das habe ich natürlich auch erst gedacht. Dann ist bei mir das grosse Schweigen ausgebrochen. Was würde ich mit der Kollegin besprechen wollen ? Die Angst vor dem Suizid werde ich nicht ändern können (da müsste sie zum Gärtner oder Pizza-Bäcker wechseln, da sterben einfach weniger Kunden an den Folgen einer schlecht therapieren Depression). Sie scheint aber ADHS nicht zu akzeptieren. Würde also ein schwieriges Gespräch.

      Ich könnte es drauf ankommen lassen.

      Antwort

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