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ADHS und / oder Typ 1 Diabetes mellitus

Seit dieser Woche hat sich mein beruflicher Blickwinkel etwas stärker aus der Welt der Erwachsenen in die Welt der Kinder- und Jugendmedizin / Psychosomatik gewendet. Ich schaue also mal etwas mehr aus der Sicht der Pädiatrie bzw. der Welt der Kinder und Jugendlichen auf die Fachliteratur und die klinische Praxis.

Ich bin jetzt als Oberarzt in einer Akutpsychosomatik für Kinder und Jugendliche (in Bad Bodenteich) tätig. Dort mit einem klaren Schwerpunkt zum Thema Essstörungen.

Dennoch oder gerade deshalb sieht man aber dann eben, dass die Welt der Kinderheilkunde (Pädiatrie) und Kinderpsychiatrie bzw. überhaupt die Bedeutung von chronischen Erkrankungen halt vielleicht in der subjektiven Wahrnehmung anders als in der statistischen Realität ist.

Eine aktuelle Studie untersuchte die Häufigkeit von ADHS im Vergleich zu Typ 1 Diabetes mellitus.
Wir wissen inzwischen, dass ADHS in der Bedeutung hinsichtlich Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen – aber eben auch ihrer Familien – mindestens so schwerwiegend wie andere chronische Erkrankungen wie beispielsweise Asthma oder eben Diabetes verläuft. Aber dennoch nehmen viele Kinderärzte und weite Teile der Öffentlichkeit eben doch ADHS als eher eine Erziehungsproblematik und nicht als eine chronische Erkrankung wahr.

Und vermutlich würden viele Menschen eher annehmen, dass Diabetes eine grössere Rolle spielt als ADHS.

Die Zahlen sprechen dagegen.

So ist die (vermutlich eher konservativ) ermittelte Häufigkeit von ADHS in der Gruppe der Patienten von Kinder- und Jugendmedizinern mit 2,5 Prozent aller Kinder und Jugendliche. Die Häufigkeit von Diabetes mellitus Typ 1 ist dagegen 0,1 Prozent.
Hätte ich nicht gedacht, ich hätte auf mindestens 1 Prozent oder so getippt.

Wichtig ist jetzt, dass in der Gruppe der Typ 1 Diabetiker die Wahrscheinlichkeit bzw. Bedeutung von ADHS wiederum deutlich erhöht ist. 4,2 Prozent der mit Diabetes diagnostizierten Kinder und Jugendliche erhielten auch eine ADHS-Diagnose.

Das führte letztlich auch dazu, dass dann sowohl eine Insulin-Therapie wie auch eine Stimulanzientherapie angezeigt sein kann.

Ich habe mich früher sehr intensiv auch mit den Problemen von jungen Diabetikern auseinander gesetzt. Auch oder gerade in der Schnittmenge zu Essstörungen bzw Adipositas / Binge eating Störung. Nicht selten ist die Führung des Diabetes mellitus dann aufgrund der Emotionalen Labilität bzw. Impulsivität bei ADHS und den Problemen der Selbstregulation erschwert bis unmöglich.

Es macht also verstärkt Sinn über den Tellerrand von je einer Diagnose bzw. Fachgruppe zu schauen. Den ADHS-Experten täte es gut, sich mal im Bereich Stoffwechsel (nicht nur bei Diabetes, sondern eben auch im Bereich der Endokrinologie ) umzuschauen.

Und den Experten aus dem Reich der Diabetestherapie (oder auch Asthma) könnten den ein oder anderen Hinweis von Kinder- und Jugendpsychotherapeuten annehmen bzw. sich und ihren Patienten das Leben leichter machen.

Ich bin gespannt, wie sich das hier in der neuen Klinik so ergibt. Welche Schnittmengen sich so herleiten oder neu definieren lassen… Aber das wird sich halt weiter zeigen.

Keine Sorge : ADHS wird für mich immer ein Thema bleiben. Aber neue Perspektiven bzw. ein anderer Blickwinkel erweitert den Horizont

7 Gedanken zu „ADHS und / oder Typ 1 Diabetes mellitus

  • Jacqueline

    Hallo Herr Dr. Winkler, ich hab damal eine Fragen mein Sohn ist jetzt 7Jahre fast 8Jahre und seit 2016 wurde bei ihm Diabetes mellitus typ 1 festgestellt ich habe ihn nach dem wir 1nerhalb Monate wieder zuhause waren gut eingestellt gehabt man könnt ihn sogar von 100% bis auf 70% runter stellen dann hat die Ärztin in wieder anders eingestellt und seit dem muss ich ihn immer wieder neu einstellen lassen dann läuft es ein paar zage gut und dann fang ich wieder an mit nur korrigieren ich bekomm ihn einfach nicht mehr gut eingestellt habe auch das Gefühl das dass Insulin keine Wirkung bei ihm hat ich weis das es 2 oder 3 verschiedene Arten von Insuline gibt wir haben Humalog. Kann das sein das es keine Wirkung hat also das wir das falsche Insulin bekommen haben❓Und meine andere Frage ist es ist mir schon als mein Sohn klein war aufgefallen das er sehr hyperaktive ist und jetzt bekam ich die diaknose das er auch noch ADHS hat vom Psychologen Diagnostiziert. Meine Frage ist kann das sein das mein Sohn dieses ADHS vieleicht dich schon länger hat und das Diabetes somit ausgelöst hat bei ihm❓Wäre nett wenn sie mir eine Rat geben könnten. Mit freundlichen Grüßen Pokrowsky

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  • Bettina Kahle

    Offtopic: ich bin jetzt schon 2 mal in Bad Bodenteich in Behandlung gewesen. Einmal von und einmal nach dem Magenbypass. Aber als Erwachsene hat man wahrscheinlich keine Chance an Sie als Therapeuten zu kommen oder? Vielleicht können Sie aber ein bisschen Einfluss auf ihre Kollegen nehmen. 2013 wurde meine Adhs Diagnose nämlich komplett ignoriert dort. VG Bettina Kahle

    Antwort
    • Nächste Woche werde ich 2 Patienten genau mit dieser Fragestellung sehen. Richtig ist aber, dass ich in meinem Bereich den Schwerpunkt setze. Ggf noch Familientherapie für Adhs-Familien.

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    • Unsinnstifter

      Werde nie begreifen wie man sich so verstümmeln lassen kann. Davon abgesehen halte ich ADHS bei Übergewicht für eine klare Kontraindikation. Aber das interessiert die meisten „Gutachter“ – kein Stück. Da wird nicht selten nach Augenschein, Vorurteil und mit Gewinnabsicht entschieden und nicht die Menschen behandelt.

      Nun muss das jeder selbst wissen. Ich wollte hier einfach an der Stelle unbedingt deutlich machen: Eine Magenop wird dir höchstwarscheinlich weder deine Impulsivität noch deinen Drang häufiger zu essen oder viel zu essen im Sinne des Bedürfnisses in Form von Selbstmedikation nehmen.

      Bei allen Risiken, die gerne mal klein geredet oder gänzlich ignoriert werden bei Magen-Ops. Es wird auch in der heimtückisch durch Einflussnahme von Kliniken und anderen Profiteuren der Operationen geförderten Selbsthilfegruppen positiv dargestellt, zumal in diesem Setting vielen diese Operation als Schlüssel ins Paradies des Normalgewichts vorkommt.

      Es ist sicher nicht einfach und jeder muss die Entscheidung für sich treffen. Aber wie Sie schon sagen: ADHS wurde ignoriert.

      Wer ADHS hat sollte sich diesen Schritt mehrmals überlegen. Zumal gerade der Magenbypass einen hinterher wie mit einer Behinderung zurückläßt. Vitaminpillen, allen voran B12 und Eisen ein leben lang futtern, weil man nicht mehr genug Nährstoffe aufnehmen kann, wenn man sich an die entsprechende Essmenge hält. Künftige Medzinische Versorgung ist dadurch erschwert, das viele Medikamente nicht mehr oral eingenommen werden können. Ausserdem hat der Magen auch andere Aufgaben als Pforte, durch die Nahrung auch desinfiziert wird. Funktioniert das überhaupt noch mit Bypass?

      Dagegen war Aderlass meiner Meinung nach noch human einzustufen.

      Überlegt euch das gut, wenn ihr darüber nachdenkt. Es kann die totale Hölle werden, wenn man als ADHSler durch gute Portionen ein bischen innere Ruhe finden kann. Was letztlich auch funktioniert, ist geduldige Arbeit an der eigenen Einstellung und der Wunsch mit Selbstschädigendem Verhalten aufzuhören. Mit den Jahren schafft man eh nicht mehr soviel zu essen, die ADHS Symptome verlieren an Einfluss, nur das Gedächtniss wird immer doofer, da hilft Magenop aber au net gegen.
      Es dauert und vielleicht gibts Probleme irgendwie hier und dort am Körper aber wer sich fit hält wird auch bis in die 50er hinein mit dem dann eh sinkenden Übergewicht klar kommen und alt werden geht auch mit zuviel auf den Rippen.

      Übergewicht schadet auch nicht den Gelenken, das ist eine Mär. Es trainiert die Gelenke! Wozu bewegen wir sonst beim Sport extra Gewichte? Genau! Also lasst euch nicht Meschugge machen. Solange keine weiteren extremen Risiken hinzukommen, kann es keinen Grund für solche Verstümmelungsoperationen geben. Da riskiert jeder Raucher mehr Leid und Krankheit als Menschen mit Übergewicht, erst ab BMI 45-50+ kommt das Übergewicht in die Nähe des statistischen Risikos für Rauchen.

      Antwort
  • Ich kenne einige ADHSler, keiner hat Diabetis und keiner hat besondere Gewichtsprobleme. Ich kann keinen Zusammenhang erkennen, bin aber auch nur so 30 Betroffenen begegnet…

    Antwort
    • Wichtig : Typ 1 Diabetes ist nicht mit Übergewicht oder „falscher“ Ernährung verbunde. Es ist eine Reaktion des Körpers gegen die Insulinbildenden Zellen. Also eine Entzündung / Autoimmunreaktion.

      Antwort
  • Unsinnstifter

    ADHS ist ja auch als Stoffwechselstörung im Gehirn bekannt, schlechtere Durchblutung verschiedener Regionen und das heißt dann nach meinem Verständniss auch schlechtere Nährstoffversorgung. Das führt möglicherweise dazu, das die Anforderungssignale zum Essen häufiger erfolgen, um diesen Mangel zu beseitigen. Vielleicht ein Ablauf wie es Achim Peters in „selfisch Brain“ beschreibt, eine Ursache, die zu einer übermäßigen Anforderung nach Essen führt und unter anderem bestimmte Probleme der Ernährung unter ADHS beschreibt.

    Ausserdem ist Streß ein wichtiger meiner Auffassung nach ständig übergangener Faktor bei der Diabetesdiskussion. Streß führt zu einem sofortigen Abgeben der Glucose im Blut sowie einige Streßhormone. Energiebedarf steigt, vor allem auf schnell verfügbare Nahrungsmittel.
    Das Problem dürfte auch sein, das Menschen, die ständig unter Strom stehen auch entsprechende Bedarfe haben. Wer da radikal mit Zuckerverzicht oder blindwütigem Diätterror reagiert, zwingt sich am Ende nur mehr Streß auf.

    Solide geführte Diät bedeutet vor allem Kalorien zählen, Nahrungsmittel abwiegen und kalkulieren. Oft mehrmals am Tag, regelmäßig. Ähnlich wird ja auch mit der Diabetesprophylaxe bzw. -behandlung gearbeitet. Selbstverständlich ist das für ADHSler mit ihrer meist mangelhaften Ordungs- und Strukturfähigkeit im Eimer.

    Hinzu kommen ja die Schlafprobleme. Apnoe-Patienten haben selbst schon ein erheblich höheres Risiko für Diabetes. Dazu noch eine ADHS vielleicht noch Übergewicht wie es ja auch in erheblichem Umfang bei ADHSlern eine Rolle spielt, genauso wie bei Schlapnoe selbst. Eine stressige Umgebung braucht man da schon gar nicht mehr, wird aber warscheinlich dazu kommen. Einfach nur weil ohne guten Schlaf ist man weniger gut umgänglich und mit der typischen ADHS-Impulsivität ist das eine oft explosive Mischung. Soziale Probleme sind vorprogrammiert – es erzeugt eine Spirale. Das Übergewicht kann also Folge emotionalem Dauerstresses sein, oder / und Vorbote einer Diabetesentwicklung. Ursache für die Diabetes alleine ist Übergewicht eher nicht. Das Problem ist bei Übergewicht dieselbe Schuldzuweisung unserer Gesellschaft gegenüber Betrofffenen, wie es auch bei der ADHS eine Rolle spielt: Erziehungsfehler, keine Selbstbeherrschung, Bildungsmangel, Asozial.

    Es ist für mich absolut nachvollziehbar wieso diese Symptome oft zusammenkommen.

    Also im Grunde muss man vor allem den Streß und die damit verbundenen Reaktionskaskaden im Sinn behalten, wenn chronische Krankheiten zu mehr Diabetes führen und nicht dümmlich Ernährungspläne schmieden.

    Genau das ist das Problem: Da defizitäre Bedürftige mehr und mehr allein gelassen werden, abgeschrieben von der Gesellschaft und trotzdem durch eine rabiate Lebensrealität unter existenziellen Druck gesetzt, gerade das führt viele Faktoren zusammen, die chronische Krankheiten begünstigen und die Folgen verschlimmern.

    Das ist auch hausgemacht. Als ADHSler gibts immer noch kein Coaching auf Rezept. Selbststeuerungsgestörte Menschen werden sich selbst überlassen und versanden in der von zunehmenden Ablenkungsfaktoren durchzogenen Alltagsrealität zwischen Reklameterror und Rauschoptionen. Gäbe es adäquate Hilfen würden Zahlen chronischer Krankheiten wie Diabetes sinken oder deren Folgen begrenzt.

    Allerdings muss man auch wissen, das so mancher Datensatz über heutige Krankheitsepidemien in Deutschland ganz besonders der Korruption im Gesundheitswesen zu verdanken ist.

    http://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen/versichern-und-schuetzen/interview-mit-jens-baas-chef-der-techniker-krankenkasse-14472241.html?printPagedArticle=true

    Man sollte seine Daten immer international abgleichen, damit man sich zu Aussagen nicht nur blind auf korruptes deutsches Statistikmaterial stützt.

    Antwort

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