Atomoxetin bei ADHS: Alles Wichtige zu Anwendung, Dosierung und individuellen Anpassungen
Personalisierte Dosisfindung bei Atomoxetin bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ADHS

Aktuell gibt es erhebliche Lieferprobleme bei Atomoxetin, einem wichtigen nicht-stimulierenden Medikament zur Behandlung von ADHS. Der Hersteller Lilly hat das Markenpräparat Strattera vollständig aus dem Sortiment genommen, da inzwischen viele Generika verfügbar sind. Trotz seiner Einstufung als dritte Wahl hinter Methylphenidat und Lisdexamphetamin bleibt Atomoxetin eine unverzichtbare Option – insbesondere für Patienten, die Stimulanzien nicht vertragen oder für die diese ungeeignet sind.
Warum ist Atomoxetin eine wichtige Option in der ADHS-Therapie?
Atomoxetin stellt eine wertvolle Alternative zu Stimulanzien dar, indem es die Noradrenalin-Konzentration im Gehirn erhöht. Dies verbessert die Aufmerksamkeit und Impulskontrolle. Im Gegensatz zu Stimulanzien wirkt Atomoxetin nicht direkt auf das Dopaminsystem, was für einige Patienten von Vorteil sein kann. Es wird häufig dann verschrieben, wenn Stimulanzien wie Methylphenidat oder Lisdexamphetamin nicht die gewünschte Wirkung zeigen oder starke Nebenwirkungen verursachen.
CYP2D6 und seine Bedeutung für die Wirkung von Atomoxetin
Atomoxetin wird hauptsächlich über das Enzym CYP2D6 abgebaut. Genetische Unterschiede im CYP2D6-Gen können daher erhebliche Auswirkungen auf die Wirkung und Verträglichkeit des Medikaments haben. Dabei gibt es vier Haupttypen von Metabolisierern, die den individuellen Medikamentenabbau bestimmen:
- Normale Metabolisierer (NM): Sie bauen Atomoxetin in einem normalen Tempo ab, was meist zu stabilen Wirkungen und Nebenwirkungsraten führt.
- Langsame Metabolisierer (PM): Der Abbau erfolgt langsamer, was zu höheren Blutspiegeln und einem erhöhten Risiko für Nebenwirkungen führt.
- Ultraschnelle Metabolisierer (UM): Diese bauen Atomoxetin sehr schnell ab, sodass die Medikamentenspiegel möglicherweise zu niedrig sind, um eine ausreichende Wirkung zu erzielen.
- Intermediäre Metabolisierer (IM): Diese Gruppe liegt zwischen normalen und langsamen Metabolisierern und benötigt oft eine angepasste Dosis.
Diese genetischen Unterschiede erklären, warum manche Patienten gut auf Atomoxetin ansprechen, während andere entweder keine ausreichende Wirkung erfahren oder starke Nebenwirkungen haben. Ein CYP2D6-Test kann helfen, den individuellen Metabolisierungstyp zu identifizieren und die Dosis entsprechend anzupassen.
Wann ist ein CYP2D6-Test sinnvoll?
Ein Test auf das CYP2D6-Enzym kann in verschiedenen Situationen hilfreich sein:
- Starke Nebenwirkungen oder mangelnde Wirkung: Wenn Patienten trotz richtiger Dosierung unter Nebenwirkungen leiden oder keine Wirkung verspüren, könnte ein CYP2D6-Test sinnvoll sein. Dieser kann klären, ob genetische Faktoren für eine verzögerte Metabolisierung verantwortlich sind, die zu hohen Blutspiegeln und Nebenwirkungen führt, oder ob ein schneller Abbau die Wirksamkeit verringert.
- Kombination mit anderen Medikamenten: Einige Medikamente wie Paroxetin und Fluoxetin hemmen CYP2D6 und verlangsamen damit den Abbau von Atomoxetin. Dies kann zu höheren Medikamentenspiegeln im Blut und damit möglicherweise zu stärkeren Nebenwirkungen führen. Ein CYP2D6-Test kann helfen, das Wechselwirkungsrisiko zu bewerten und die Dosis anzupassen.
- Therapieabbruch aufgrund von Nebenwirkungen: Wenn eine Behandlung mit Atomoxetin in der Vergangenheit wegen Nebenwirkungen abgebrochen wurde, kann ein CYP2D6-Test helfen, diese Nebenwirkungen besser zu verstehen und die Dosis gezielt anzupassen, falls Atomoxetin erneut in Betracht gezogen wird.
Durchführung und Interpretation des CYP2D6-Tests
Der Test erfolgt über eine Blut- oder Speichelprobe und liefert wichtige Informationen über den Metabolisierungstyp des Patienten:
- Langsame Metabolisierer (PM) könnten eine niedrigere Dosis benötigen, um Nebenwirkungen zu vermeiden, da ihr Körper das Medikament langsamer abbaut.
- Ultraschnelle Metabolisierer (UM) benötigen unter Umständen eine höhere Dosis oder ein alternatives Medikament, da der schnelle Abbau zu einer unzureichenden Wirkung führen kann.
Praktische Tipps zur Anwendung von Atomoxetin
- Langsame Dosissteigerung: Die Behandlung beginnt in der Regel mit einer niedrigen Dosis, die schrittweise erhöht wird, um die Verträglichkeit zu testen.
- Therapeutisches Drug Monitoring (TDM): In speziellen Fällen kann eine Überwachung des Medikamentenspiegels helfen, die ideale Dosis zu finden, um die Wirkung zu maximieren und Nebenwirkungen zu minimieren.
- Vorsicht bei CYP2D6-hemmenden Medikamenten: Medikamente, die CYP2D6 hemmen, wie einige Antidepressiva, können den Abbau von Atomoxetin verlangsamen. In diesen Fällen kann eine Dosisanpassung oder der Einsatz eines alternativen Medikaments sinnvoll sein.
- Geduld und regelmäßige Beobachtung: Die volle Wirkung von Atomoxetin zeigt sich häufig erst nach einigen Wochen. Die Dosis sollte daher engmaschig überwacht und in Absprache mit dem Arzt angepasst werden.
Relevanz von CYP2D6 bei anderen ADHS-Medikamenten
- Methylphenidat: Dieses Medikament wird nicht über CYP2D6 abgebaut und ist daher von genetischen Variationen in diesem Enzym nicht betroffen. Ein CYP2D6-Test ist für Methylphenidat daher nicht notwendig.
- Lisdexamphetamin: Auch dieses Stimulans wird unabhängig von CYP2D6 verstoffwechselt. Ein CYP2D6-Test ist daher ebenfalls nicht erforderlich.
- Elontril (Bupropion) und Venlafaxin: Diese beiden Medikamente werden teilweise über CYP2D6 abgebaut. In Kombination mit anderen CYP2D6-hemmenden Medikamenten kann es hier zu einem Anstieg des Wirkspiegels und vermehrten Nebenwirkungen kommen. Ein CYP2D6-Test kann in solchen Fällen eine hilfreiche Grundlage zur Dosisanpassung bieten.
Medikamente, die mit dem CYP2D6-System interagieren
| Medikament | Wirkung auf CYP2D6 | Anmerkung |
|---|---|---|
| Paroxetin | Hemmung | Kann den Abbau von Atomoxetin verlangsamen |
| Fluoxetin | Hemmung | Erhöht das Risiko von Nebenwirkungen durch höhere Blutspiegel |
| Bupropion (Elontril) | Hemmung | Kann Wechselwirkungen mit anderen CYP2D6-Substraten haben |
| Chinidin | Hemmung | Wird selten genutzt, kann jedoch CYP2D6 stark hemmen |
| Rifampicin | Induktion | Beschleunigt den Abbau von CYP2D6-Substraten |
| Johanniskraut | Induktion | Kann die Wirksamkeit von CYP2D6-Substraten verringern |
Zusammenfassung: Ein individualisierter Ansatz für den Therapieerfolg
Atomoxetin bleibt trotz Lieferengpässen und einer Einstufung als drittes Wahlpräparat ein wertvolles Medikament für die ADHS-Behandlung, insbesondere bei Patienten, die keine Stimulanzien einnehmen können. Die genetische Variabilität im CYP2D6-Enzym kann die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Atomoxetin beeinflussen. Ein personalisierter Therapieansatz, der genetische Faktoren berücksichtigt, kann helfen, die passende Dosierung zu finden und sowohl die Wirksamkeit zu maximieren als auch das Risiko von Nebenwirkungen zu minimieren.
Hinweis: Wenn die Verträglichkeit oder Wirksamkeit von Atomoxetin oder anderen ADHS-Medikamenten unklar ist, sollte gemeinsam mit dem behandelnden Arzt über einen CYP2D6-Test und eine mögliche Anpassung der Therapie nachgedacht werden.
Wie immer gilt : Nicht aufgrund von Internet-Informationen die Dosierung ändern, ein Medikament absetzen oder eigene Experimente machen.
Quelle des Artikels : https://www.frontiersin.org/journals/pharmacology/articles/10.3389/fphar.2024.1484512/full



Danke für dieses sehr wichtige Thema.
Der Einfluss des Metabolisierungstyps wird weithin unterschätzt.
Die Dosierungsempfehlungen der Hersteller beziehen sich auf Standardmetabolisierung. Je nach Genvariante können individuell ganz erhebliche Abweichungen bestehen. Bevor man als zum Ergebnis kommt, man vertrage ein Medikament nicht (zu hohe Nebenwirkungen) oder es wirke nicht, sollte der Metabolisierungstyp als Einflussfaktor in Betracht gezogen werden.
Richtig ist, dass das Prodrug Lisdexamphetamin nicht durch CYP2D6 metabolisiert wird, wohl aber dessen erst pharmakologisch wirksamer Metabolit Dextroamphetamin.
Daher ist bei einer Kombination von Atomoxetin mit Lisdexamfetamin stets zu beobachten, ob das jeweils späte eindosierte Präparat eine Herabdosierung des zuvor eindosierten Präparates erforderlich macht.
Umgekehrt ist gerade für Betroffene, die eine (zu) kurze Wirkdauer einer Einzeldosis Lisdexamfetamin erleben (fast zwei Drittel berichten 7 Stunden und weniger, was deutlich unter den Herstellerangaben von 12 bis 13 Stunden liegt), eine Kombination mit Atomoxetin eine Chance, die Einzeldosiswirkdauer zu verlängern.
Bei einer CYP2D6-Gen-Analyse sollte zudem stets immer auch das POR-Gen analysiert werden, da dieses die Bereitstellung von weiteren Stoffen für die CYP2D6-Metabolisierung verantwortlich ist. Daher kann es auch bei „normalen“ CYP2D6-Genvarianten eine verlangsamte oder beschleunigte Verstoffwechselung geben. Leider gibt es kaum Labore, die auch das POR-Gen analysieren.
Nur am Rande:
Während die Wirksamkeit von Amphetaminmedikamente sehr vom Säurehaushalt des Körpers abhängt, der mittels einfacher Harn-pH-Wert-Messtreifen aus dem Internet oder der Drogerie gut gemessen und durch Nahrungsmittel mit einem geeigneten PRAL-Wert stark beeinflusst werden kann, scheint Atomoxetin vom Säurehaushalt recht unabhängig zu wirken. Falls jemand andere Erfahrungen gemacht hat, wäre ich sehr neugierig.
Danke. Letztlich ist es ja noch weit von der täglichen Versorgungspraxis entfernt. Dennoch oder gerade deshalb finde ich das Thema wichtig.