Allgemein

ADHS : Wenn Absicht und Aktion nicht verbunden sind

ADHS und die Herausforderung der Diskrepanzen zwischen Absicht und Aktion im Gehirn

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist eine neurobiologische Störung, die bei vielen Menschen zu erheblichen Schwierigkeiten beim Umsetzen von Absichten ins Handeln im Alltag führt.

Eine der prägnantesten Eigenschaften von ADHS ist also das scheinbare Auseinanderfallen von Absicht und Aktion im Gehirn. Der renommierte Forscher und Kliniker Dr. Russell Barkley hat diese Problematik eingehend untersucht und verdeutlicht, wie diese Diskrepanzen das Leben von Betroffenen beeinflussen.

Die Disziplin des Gehirns: Absicht und Aktion

Unser Gehirn ist ein komplexes Netzwerk von Verbindungen, das es uns ermöglicht, Informationen zu verarbeiten, Entscheidungen zu treffen und Handlungen auszuführen. In einem gesunden Gehirn arbeiten Absicht und Aktion nahtlos zusammen: Wenn wir eine Absicht haben, setzen wir sie in die Tat um, ohne größere Probleme oder Verzögerungen.Bei Menschen mit ADHS sieht die Realität jedoch oft anders aus. Das Gehirn scheint hier manchmal “getrennt” zu sein: Absichten werden gefasst, aber die Umsetzung gestaltet sich schwierig. Die Diskrepanzen zwischen Absicht und Aktion können sich auf verschiedene Bereiche des Lebens auswirken, sei es in der Schule, im Beruf, in zwischenmenschlichen Beziehungen oder in der alltäglichen Organisation.

Die Rolle der Exekutiven Funktionen
Ein entscheidender Faktor bei diesen Diskrepanzen sind die sogenannten exekutiven Funktionen. Dies sind höhere kognitive Prozesse im Gehirn, die für die Planung, Organisation, Selbstregulation und Problemlösung verantwortlich sind. Bei ADHS sind diese exekutiven Funktionen beeinträchtigt, was dazu führen kann, dass Absichten nicht in konkrete Handlungen umgesetzt werden können.Dr. Barkley beschreibt diese Problematik als eine Art “Zeitblindheit”: Menschen mit ADHS haben Schwierigkeiten, die Zeit richtig einzuschätzen und die nötige Voraussicht zu entwickeln, um sich auf eine zukünftige Handlung angemessen vorzubereiten. Dies kann dazu führen, dass Aufgaben vor sich hergeschoben werden, obwohl die Absicht besteht, sie zu erledigen.

Ursachen und Bewältigungsstrategien

Die genauen Ursachen für die Diskrepanzen zwischen Absicht und Aktion im ADHS-Gehirn sind komplex und vielschichtig. Neben den beeinträchtigten exekutiven Funktionen spielen auch neurochemische Prozesse eine Rolle.Glücklicherweise gibt es verschiedene Bewältigungsstrategien, die Menschen mit ADHS dabei unterstützen können, ihre Absichten besser in die Tat umzusetzen. Dazu gehören unter anderem:

  1. Struktur und Routinen: Die Etablierung von klaren Strukturen und täglichen Routinen kann helfen, den Alltag besser zu organisieren und die Umsetzung von Absichten zu erleichtern.
  2. Zeitmanagement: Das Erlernen von Zeitmanagement-Techniken kann dabei helfen, die Zeit besser einzuteilen und Aufgaben rechtzeitig anzugehen.
  3. Selbstreflexion und -akzeptanz: Sich selbst besser zu verstehen und zu akzeptieren, dass bestimmte Herausforderungen zum ADHS gehören, kann den Umgang mit den Diskrepanzen erleichtern.
  4. ADHS-Coaching und Therapie: Professionelle Unterstützung durch ADHS-Coaches oder Therapeuten kann dabei helfen, gezielt an den Problemen zu arbeiten und individuelle Strategien zu entwickeln.

Fazit
Die Diskrepanzen zwischen Absicht und Aktion stellen für Menschen mit ADHS eine bedeutende Herausforderung dar. Doch mit dem Verständnis für die Rolle der exekutiven Funktionen und geeigneten Bewältigungsstrategien können Betroffene lernen, ihr Leben besser zu organisieren und ihre Absichten erfolgreicher in die Tat umzusetzen. Eine ganzheitliche Betrachtung des ADHS-Gehirns kann dazu beitragen, dass Betroffene ihre Potenziale entfalten und ein erfülltes Leben führen können.

Ein Gedanke zu „ADHS : Wenn Absicht und Aktion nicht verbunden sind

  • Es gibt noch einen weiteren Aspekt zum Thema Absicht und Aktion: Nämlich nicht nur nur die ausbleibende, verzögerte oder unvollständige Aktion nach einer Absicht. Sondern auch das Umgekehrte. Das erscheint mir derart bedeutsam, dass ich hier im Blog wieder einmal zur Feder greife.

    Tatsächlich ist es so, dass viele ADHS-Betroffene sehr darunter leiden, dass einer Aktion die Absicht fehlt. Immer wieder kommt es dazu, dass Menschen mit einer ADHS reagieren, ohne es zu wollen. Es rutscht quasi aus ihnen heraus. Das können böse Worte sein. Oder andere impulsive Aktionen. Naheliegend, dass Bezugspersonen, MitarbeiterInnen oder die Chefin entsprechend reagieren.

    Ich bin schon mehrere Jahre im Ruhestand. Trotzdem kann ich mich an die abgrundtiefe Scham dieser Menschen erinnern, als hätte mir gestern Betroffene davon berichtet. Besonders verheerend für sie war es, dass ihnen niemand glaubte, dass sie “es nicht wollten”. Auch von betroffenen Kindern erlebte ich immer und immer wieder, wie grausam es für sie war, das niemand sie ernst nahm, wenn sie darauf bestanden, etwas nicht absichtlich gemacht zu haben. Sie erhielten Liebesentzug und Strafen für etwas, was sie so nie wollten. Und was lernen sie daraus: Ich bin grundsätzlich ein schlechter Mensch. Ein Bub mit einer ADHS sagte mir einmal, Gott habe ihm schwarzes Blut gegeben. Nur könne er sich sich sein schlechtes Verhalten erklären.

    Ja, auch die Fähigkeit, Impulse zu regulieren (und damit auch zu hemmen) war und ist bei den meisten mir bekannten ADHS-Betroffenen massgeblich gestört. Auch diese Fähigkeit zählt zu den sogenannten Exektivfunktionen, welche sich bedingt durch die ADHS nicht altersentsprechend entwickeln.

    Die Reaktionen von Mitmenschen auf ungewolltes Verhalten von ADHS-Betroffenen können grausam sein. Kombiniert mit der Scham über das Angerichtete können sie die Seele von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen regelrecht zerfressen. Es ist die Scham und die Irritation über das eigene Verhalten, welche man selbst nicht versteht, welche dann selbst bei Kindern viel zu oft zu depressiven Störungen führen.

    Glaubt bitte ADHS-Betroffenen, wenn sie darauf beharren, eine Handlung so nicht gewollt zu haben. Oder wenn sie darauf bestehen, echt nicht zu wissen, warum sie dies oder jenes angestellt haben. Und erklärt den Eltern, den Lehrpersonen, PartnerInnen und anderen Involvierten, dass es sich auch bei diesen Verhaltensweisen um Impulskontrollstörungen und damit um Kernsymptome einer ADHS handelt. Und sagt Ihnen, dass ADHS-bedingtes Verhalten ohne Absicht therapeutisch gut behandelt werden kann.

    Antwort

Kommentar verfassen

%d Bloggern gefällt das: