Bildschirmmedien und ADHS (Teil 7)
Lernen für den Überlebenskampf im Dschungel?
Das menschliche Gehirn kann nicht „nicht lernen“ . Man lernt immer genau das, was man gerade macht.
Ich zeigte den Eltern auf, dass bei den meisten Konsolen- und Computer-Games das Kind dann Erfolg hat, Punkte gewinnt und ein höheres Level erreichen kann, wenn es möglichst schnell reagiert. Um das Tempo und um blitzschnelles Reagieren dreht sich bei diesen Spielen nämlich fast alles. Nur dafür wird es belohnt. Und zwar nicht nur bei Schiessspielen, sondern auch bei Autorennen und allen anderen Games, welche schnelles Reagieren erfordern, um im Spiel weiterzukommen. Und genau das ist es, was diese Kinder beim Gamen lernen. Sie trainieren hauptsächlich reflexartiges und blitzschnelles Reagieren. Und dies oft über Stunden hinweg. Sie erlernen das sogar sehr gut, weil sie viel Spass daran haben. Man weiss aus der Hirnforschung, aber auch aus Alltagerfahrungen, dass man immer dann, wenn man etwas mit Freude macht, es besonders gut lernt.
Dann habe ich die Eltern von Eric und Jan gefragt, was diese Fähigkeit, extrem schnell reagieren zu können, ihren Kindern nützen könnte? “Stellen Sie sich bitte vor,” habe ich ihnen gesagt, “wir würden unsere Besprechung mitten im Dschungel durchführen. Wir befinden uns in einer Baumhütte, rund 20 Meter über dem Boden. Um uns herum hat es gefährliche und hungrige Tiere. Müsste ich nun davon ausgehen, dass es denkbar ist, dass von oben eine giftige Schlange auf den Besprechungstisch fallen könnte, wäre eine hohe Kompetenz in Sachen schnelles Reagieren und Davonschnellen für mich – und allenfalls auch für Sie als Eltern – überlebenswichtig.” „Nun leben wir aber nicht im Dschungel, sondern in einer Gesellschaft, in welcher man dann vorankommt, wenn man zuerst denkt und dann handelt“, sagte ich den Eltern, welche zustimmend nickenden.
Man kann sagen, dass ADHS-Kinder bei schnellen Computerspielen etwas lernen, was sie sowieso schon viel zu gut können. Etwas, welches ihnen bei der Bewältigung von Alltagsanforderungen nichts nützt, ja vielen von ihnen nur Nachteile bringt.
Zum Lernen braucht es viel Geduld. Man bekommt das Ergebnis nicht sofort, wie im PC-Spiel. Nein, man muss es sich vielmehr erarbeiten. Und in Prüfungen erreicht bekanntlich nicht der Schüler eine gute Note, welcher die Arbeit als Erster abgibt. Nein, es sind diejenigen, welche warten und sich die von ihnen bearbeiteten Aufgaben in Ruhe nochmals durchschauen können, dabei allfällige Fehler entdecken und bei noch ungelösten Aufgaben dann doch noch eine Lösung finden.
In Ruhe nachdenken, sich eine Weile einer Sache hingeben, sich geduldig Lösungswege ausdenken, gegeneinander abwägen, entscheiden und dann zügig handeln – das ist es, was es heute braucht. Beim Gamen lernen und trainieren die Kinder hingegen das absolute Gegenteil. Und weil es so viel Spass macht, brennt sich das immer schnellere Reagieren im Gehirn als automatisches Verhaltensmuster regelrecht ein.
Fortsetzung: Morgen 20:00, gleicher Kanal.
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