TAIL: Computergame für ADHS-Kinder?
TAIL (Training von Aufmerksamkeit und Impulskontrolle als Lernspiel) ist ein computergestütztes Trainingsspiel. Es hat den Anspruch, zur Verbesserung von Aufmerksamkeits- und Impulskontrolle bei Kindern beizutragen. Angepriesen wird dieses Computerspiel als Therapie gegen die ADHS.
Phil, so heisst der Protagonist, begibt sich auf Schatzsuche und hat dabei viele Hindernisse zu bewältigen. Dies gelingt Phil immer dann, wenn er wartet und Geduld zeigt. Phil und mit ihm die Spieler werden durch das Erreichen eines höheren Levels also dafür belohnt, dass sie nicht dreinschiessen, sondern zuerst denken und dann handeln.
Soweit so gut. Und nun das Aber:
In der Produktebeschreibung des Herstellers heisst es unter anderem:
“Kindern gelingt es, ihren am Computer erarbeiteten Lernfortschritt auf Elternhaus und Schule zu übertragen. Die neu erlernte Zurückhaltung erleichtert Zappelphilippen den Alltag erheblich. Die Kinder bekommen das Gefühl: “Ich kann das, ich schaff’s!”. Die Lernsoftware ist nicht nur für spielerisches Training zu Hause und in der Schule, sondern auch als ein Baustein einer professionellen Therapie geeignet. TAIL ist nützlich und zeigt seine Wirkung durch Steigerung der Aufmerksamkeit und Impulskontrolle bei Zappelphilippen bereits nach wenigen Tagen. Die von den Kindern registrierte Selbstwirksamkeit verbessert ihre Stimmung und steigert ihr Gefühl von Selbständigkeit. Das Klima in der Familie wird deutlich entspannter und die schulischen Leistungen verbessern sich.”
Meine und die Erfahrung zahlreicher Eltern von ADHS-Kindern aus meiner Praxis gehen in eine etwas andere Richtung: TAIL ist nämlich nur dann bewältigbar, wenn die Kinder entweder keine ADHS haben oder medikamentös gut eingestellt sind. Im letzteren Fall erweist sich TAIL als durchaus sinnvolles Game. Ohne spezifische ADHS-Therapie hingegen führte der Einsatz von TAIL in allen mir bekannten Fällen ausnahmslos zu Enttäuschung, Frust und Wutreaktionen.
Noch etwas: Falls Eltern TAIL einsetzen wollen, empfehle ich, das Eingangsvideo zu überspringen. Dort wird nämlich gezeigt, wie Phil an die Schatzkarte gelangt. Er stiehlt sie! Herrn H. Bonney, dem Autor von TAIL, scheint es dabei etwas an pädagogischem Fingerspitzengefühl gefehlt zu haben.
Information und Bezugsmöglichkeit via Amazon: TAIL – Training von Aufmerksamkeit und Impulskontrolle als Lernspiel. CD-ROM für Windows Vista, XP, NT, 2000
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Ist das ein verspäteter Sylvesterknaller oder ein verfrühter Aprilscherz?
>Noch etwas: Falls Eltern TAIL einsetzen wollen, empfehle ich, das Eingangsvideo zu >überspringen. Dort wird nämlich gezeigt, wie Phil an die Schatzkarte gelangt. Er stiehlt >sie!
Jetzt bin ich wirklich auf die Erklärung dazu von Herrn Bonney gespannt….
“Ein Transfer aus dem Game in den Alltag …” funktioniert m.E. gar nicht. Eher umgekehrt: Wenn fachgerecht behandelte Kinder mit einer ADHS im Alltag vielfältige Erfahrungen machen, besser warten und sich auch ‘langweiligen’ Dingen einigermassen hingeben können, haben sie auch im TAIL mehr Geduld und Erfolg. Positive Erfahrungen, welche (behandelte) ADHS-Kinder mit TAIL machen, entsprechen also einem unter vielen Bausteinen.
Wie würde denn – theoretisch – der Transfer dieser “neu erlernten Zurückhaltung” aus dem Game in den Alltag in Schule und Elternhaus funktionieren?
Vielen ADHSlern, mit denen ich zu tun hatte, hatten auf der Handlungsebene Schwierigkeiten mit Transfer von Erlerntem in andere Kontexte. (Auch wenn viele von ihnen gut bis sehr gut begabt waren und ihnen kognitiver Transfer förmlich zufliegt.)