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ADHS und Exekutivfunktionen (Teil 1)

Immer wieder wird in der Presse und leider nicht zuletzt auch von einigen „Fachleuten“, die es eigentlich besser wissen sollten, ADHS mit motorischer Unruhe, Störverhalten oder vielleicht Ungeschicklichkeit (altes Konzept der MCD-Kinder) gleichgesetzt. Und dann wird behauptet, dass es unruhige Kinder schon immer gab bzw. sie vielleicht allein durch miese Erziehung auffällig würden. Oder wir müssen lesen oder anhören, dass es doch schlicht normal wäre, wenn Jungs mal als „wilde Kerle“ durch die Landschaft hüpfen. Schön und gut, das mag sein. Aber es erfasst zumeist eben nicht speziell die ADHS-Symptomatik. Wer sich also allein auf Hyperaktivität, Impulsivität und Aufmerksamkeitsstörungen beschränkt, wird meist den Kern von ADHS nicht begreifen.

ADHS sollte heute vielmehr als eine neurobiologisch veranlagte Störung höherer Handlungsfunktionen (sog. Exekutivfunktionen) verstanden werden, die dann scheinbar selbstverständliche Aufgaben im Alltag verunmöglichen. Nicht immer, aber immer wieder. Es gelingt den Betroffenen also nicht, ihr Wissen und Wollen konsistent = möglichst immer, in die Tat umzusetzen. Obwohl also das Wissen für die Erledigung der Aufgabe vorhanden ist, wird das Ziel seltener erreicht als es vom Bildungs- und Motivationsstand zu erwarten wäre.

Der ADHS-Experte Thomas Brown beschreibt dies als „Impotenz des Gehirns“. Andere Vergleiche dafür wären ein etwas verträumter Dirigent eines Orchesters, der zum falschen Zeitpunkt bzw. in der falschen Dynamik die Einsätze gibt. Die Koordination höherer Hirnfunktionen läuft also unpassend zur Situation.

Wir wissen heute, dass diese Koordinations- oder Supervisorfunktion des Gehirns im sog. präfrontalen Kortex des Gehirns erfolgt. Das ist der Bereich, der in der Entwicklung des Gehirns zuletzt dazu gekommen ist. Auch in der Entwicklung eines Kindes wird die Ausreifung dieser Hirnfunktion eben erst vergleichweise spät erfolgen. Gerade bei ADHS wissen wir, dass eben auch ein Reifungsdefizit dieses Bereichs zu Auffälligkeiten der höheren Handlungsfunktionen führt.

Leider beschäftigt sich aber auch die Psychologie erst seit vergleichsweise kurzer Zeit mit diesen Hirnfunktionen. Noch vor 10-15 Jahren wurden Frontalhirnstörungen eben durch Unfälle oder allenfalls einer Hirnentzündung erklärt. Dementsprechend sind auch neuropsychologische Tests der präfrontalen Störungen eher auf ein dauerhaftes Defizit und nicht auf eine Regulationsstörung der „metakognitiven“ Funktionen ausgerichtet.

Bezogen auf Schule hängt es natürlich auch von den Anforderungen an die Kinder in Hinblick auf diese höheren Handlungsfunktionen und die „äußere Struktur“ ab. Ein direktiver, d.h. eher klar von der Lehrerin bzw. dem Lehrer geleiteter Unterricht wird gerade in der Grundschule weit seltener zu Auffälligkeiten von Kindern mit Störungen der Handlungsfunktionen führen. Mit den zunehmenden Anforderungen an Fähigkeiten wie selbstständige Planung, Umgang mit Ablenkung und Unterbrechung, Prioritätensetzung, Sortieren unterschiedlicher Informationen usw. treten dann ggf. erst im Übergang zu einer weiterführenden Schule Probleme auf. Natürlich spielt hier Klassengrösse sowie die Zusammensetzung ebenso eine Rolle wie die „natürliche Autorität“ der Lehrkraft. ADHS-Kinder sind dementsprechend häufig Indikatorkinder dafür, dass in der Schule ein Problem auftritt.

Neben der neurobiologischen Veranlagung im Sinne eines Entwicklungsdefizits dieser „Selbstbeherrschung“ bzw. Selbstregulation spielt also auch eine Rolle, welche Erwartungen Schule und Gesellschaft an diese Kinder stellt.

Leider fällt da auf, dass Kinder heute zunehmend früher und schlechter vorbereitet Aufgaben erledigen sollen, für welche ihr Gehirn einfach noch nicht die notwendige Differenzierung aufweist. Schule wird aus der Sicht von Möchtegern-Pädagogen gemacht, die sich aber gerade nicht an dem neurobiologischen Entwicklungsstand des Kindes, sondern an ihren reformpädagogischen Idealen oder eigenen Wertvorstellungen orientieren. Und dabei ca. 20 Prozent der Kinder auf der Strecke bleiben lassen.

In Teil 2 dann mehr zu den speziellen Abweichungen der Exekutivfunktionen bei ADHS und wie es in der Schule auffällt …

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