ADHS Entwicklungsrückstand
Der englischsprachige Artikel “ADHD Goes to School” von Mark Bertin hat mich persönlich angesprochen.
Wir haben ja selber einen tollen Jungen, der eine Sprachentwicklungsverzögerung von ca 2,6 Jahren aufweist. Der aber eben auch im Hinblick auf weitere höhere Handlungsfunktionen noch nicht so weit ist, wie gleichaltrige Jungs oder Mädels. Unser Sohn ist beispielsweise auch im Hinblick auf die Wahrnehmung von Geräuschen oder anderen Sinneseindrücken “anders”, er ist in der Fein- und Grobmotorik noch nicht so differenziert, wie er sein müsste und weist insgesamt eben Zeichen einer mangelnden Vernetzung und Integration von Informationen auf.
In dem Artikel geht es nun darum, dass man bei einer Sprachentwicklungsverzögerung offenbar doch mehr Toleranz und Geduld zeigt. Es gibt ja durchaus alarmierende Berichte, dass die Logopäden gerade bei Jungen sich vor Behandlungsanfragen im Hinblick auf Sprachentwicklungsproblemen kaum noch retten können.
Leider werden bei der Entwicklungsverzögerung der Exekutivfunktionen merkwürdig genug immer noch moralische Kategorien wie “Faulheit” oder mangelnde Erziehung der Eltern angenommen. Nicht von allen Menschen, aber leider halten sich die Vorurteile hartnäckig.
Wenn aber die altersgemässe Selbstständigkeit im Bereich der Selbstorganisation nicht gegeben ist und krankheitsbedingt das Kind noch nicht einmal merkt, dass es ein Problem hat, bzw. anders als die Mitschüler ist, dann wird die Aussenwahrnehmung durch Fachkräfte bzw. Eltern von entscheidender Bedeutung sein.
Wir wissen heute, dass die Entwicklungsverzögerung der Selbstbeherrschung, bzw. die noch nicht altersgemässe neuronale Vernetzung, eben genauso wie die eigentlichen Kernsymptome der motorischen Hyperaktivität, Impulsivität und eben Unaufmerksamkeit zu Schwierigkeiten führen.
Leider ist es aber die Ausnahme, dass nun ADHS “allein” auftritt. In dem Artikel werden Studien zitiert, die bei 40 Prozent der ADHS-Kinder weitere Lern- und Teilleistungsstörungen annehmen. Bis zur Hälfte aller ADHS-Kinder haben beim Lesen oder Schreiben Probleme, wobei es ja nicht immer die vollen Diagnosekriterien einer Legasthenie sein müssen.
Ich kenne das Buch vom Autor (noch) nicht. Aber ich kann mich sehr mit seinen Gedanken anfreunden. Wie schon in mehreren Blog-Beiträgen zuvor wird für mich immer deutlicher, dass die umfassende Diagnostik der Begleit- und Folgeprobleme unter Berücksichtigung der Entwicklungsverzögerung von ADHS-Kindern relevant ist.
Noch nicht berücksichtigt in dem Text sind Schlafstörungen, die nun bei ADHSlern besonders häufig anzutreffen sind. Ich beschäftige mich gerade mit neueren Untersuchungen eines amerikanischen Psychologie-Professors (Lynn), der fragmentierten Schlaf bzw. Rem-Schlafstörungen im Zusammenhang mit der Entwicklung von dissoziativen Störungen setzt. Diese These verfolge ich bzw. Johannes Drischel ja schon länger. Wenn nun also nicht nur die klassisschen Teilleistungstörungen bzw. Komorbiditäten bestehen, sondern in der Folge der ADHS-Konstitution und Schlafstörungen auch noch Entwicklungshemmnisse durch Dissoziation hinzukommen, wird es schon recht komplex. Aber das ist ein Thema für einen weiteren Blogbeitrag….
Das mit der umfassenderen Diagnostik ist sicherlich richtig.
Aber ein weit größeres Problem scheint mir, dass diesen Kindern nicht die nötige Zeit gegeben wird, sich zu entwickeln.
Selbst wenn Mann um den Entwicklungrückstand weiß: unser Schulsystem setzt Termine. Wer die nicht einhalten kann, wird aussortiert ( in Schulen, an denen keine höheren Bildungsabschlüsse möglich sind , manchmal nicht mal der Hauptschulabschluss , weil gar nicht angestrebt ) oder man muss die Schulzeit durch frustrierendes Wiederholen der Klasse, Abbrechen der Schullaufbahn und mühsam ( und oft teuer ) später nachholen, um an einen Abschluß zu kommen.
Warum nicht grundsätzlich eine längere Schulzeit ( vllt. 12 Schuljahre ) für alle mit entsprechend Spielraum, Entwicklungsrückstände nach zu holen ohne beschämende Versagens-Szenarien ?
Natürlich mit differenziertem Unterricht, gibt ja auch die schnellen.
Und natürlich kleine Klassen usw.