Wirksam sind nur Medikamente. Echt wahr?
In dieser neuen Studie hat ein multinationales Team von Experten bei ADHS-Patienten keine positiven Effekte bei psychologischen Behandlungen inkl. kognitivem Training, Neurofeedback und Verhaltenstraining (positive Verstärkung) identifizieren können. Bei diätetischen ADHS-Behandlungen (Nahrungsergänzung mit Omega-3 und Omega-6-freien Fettsäuren, Weglassen künstlicher Lebensmittelfarbe) wurden nur wenige positive Therapieeffekte festgestellt.
Der Versuch, andere Therapien “anstelle von etwas, das funktioniert”, auszuprobieren, bedeute Zeit- und Geldverlust sowie falsche Hoffnungen und verpasste Chancen. Selbst wenn auch die Verhaltenstherapie die zentralen Symptome von ADHS, wie Aufmerksamkeitsspanne und Impulsivität nicht verbessere, könne diese Behandlung andere Vorteile für das Kind und Familie haben.
Dazu Folgendes: Wenn den Aufmerksamkeits-, Impulskontroll- und Selbststeuerungsproblemen eines Kindes tatsächlich eine ADHS zugrunde liegt (was bei diesen Symptomen nicht zwingend der einzige Grund ist), ist es evident, dass die medikamentöse Therapie Grundstein einer multimodalen ADHS-Therapie ist. Das zeigen nicht nur Studien, sondern auch die jahrelangen Erfahrungen vieler medizinischer und psychologischer Fachpersonen. Für zahlreiche Experten gilt es verständlicherweise als Kunstfehler, wenn einem nachweislich ADHS-betroffenen Kind ein kontrollierter medikamentöser Behandlungsversuch vorenthalten bleibt. In diesem Sinne unterstütze ich die Botschaft dieser Studie.
Andererseits: Auch in dieser Studie finden Leser-/innen ein Argumentationsmuster, welches implizit die Bedeutung der pharmakologischen ADHS-Therapie auf- und die psychologischen Therapien abwertet. Die Pharmaindustrie und die Krankenkasse werden sich freuen (finanziert wurde die erwähnte Studie übrigens von Brain Products GmbH und den Pharmaunternehmen Janssen-Cilag, Lilly, Medice, Shire und Vifor Pharma).
Dieses Entweder-Oder sollte misstrauisch machen. In der klinischen Praxis ist es nämlich so, dass die medikamentöse ADHS-Basistherapie in den meisten Fällen zwar ein notwendiger, nicht aber ein hinreichender Bestandteil der Behandlung eines von einer ADHS betroffenen Kindes ist. ADHS-Medikamente ermöglichen es in vielen Fällen, dass die betroffenen Kindern neurobiologisch in die Lage versetzt werden, innezuhalten, sich auch bei Uninteressantem zu fokussieren und zu lernen. Erst das Lernen aber (und dazu gehören auch die Erfahrungen, die ein Kind beispielsweise in einer Verhaltens- oder Lerntherapie machen kann) führt zu einer Änderung des Gesamtverhaltens und des Befinden eines Kindes. ADHS-Medikamente und therapeutisch angeleitete neue Lernerfahrungen machen also das Gesamt einer erfolgreichen ADHS-Therapie aus. Und genau deswegen sprechen Experten von der Notwendigkeit einer multimodalen Therapie der ADHS.
Nehmen wir zum Vergleich ein verhaltensauffälliges Kind mit Konzentrations- und Lernschwächen, bei welchem die Abklärung ergab, dass eine Sehschwäche die Ursache der erwartungswidrigen schulischen Minderleistungen und der Verhaltensprobleme war. Eine Brille ‚behandelt‘ sehr wohl und meistens sehr wirksam die Sehschwäche. Lesen, das Gelesene verstehen, es anzuwenden und zufrieden mit seinen Schulleistungen sein kann das Kind aber erst nach einem Lernprozess, welcher meistens therapeutisch begleitet werden muss. Ähnlich ist es bei Vorliegen einer ADHS.
Solange Studien dieser Art nicht mehrheitlich von der öffentlichen Hand finanziert werden, bleibt einfach ein fahler Nachgeschmack. Spannend wären beispielsweise Untersuchungen, welche aufzeigen, wie wirksam verschiedene psychologische Therapieansätze sind, wenn diese auf Basis einer medikamentösen ADHS-Therapie erfolgen. Für Fragestellungen dieser Art werden die Forschungsbudgets der Pharmaindustrie dann plötzlich zu knapp …
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Stimme zu, dass, wenn Medikamente als einzige Therapie so gut wirken, sie derzeit eines der wichtigsten Therapieangebote für ADHSler sind. Leider gibt es aber auch die Betroffenen, die nicht (oder nicht ausreichend) auf Stimulanzien ansprechen. Und wenn man dann weder eine Kombination von Medikamenten findet noch es alternative Therapien gibt, die helfen, die Symptome etwas in den Griff zu kriegen, kann das ganz schön schlimm sein. Forschung in wirklich wirksamen alternativen Therapien bzw. in wichtigen Zusatz-Therapien, welche die Medikamentöse Therapie vielleicht positiv verstärken/unterstützen können wären deswegen echt gut.
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ich würde euch gerne hierzu einladen:
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Dazu fällt mir eigentlich nur die Frage ein: Wie soll Wissenserwerb, Erkenntnisreproduktion einem Menschen helfen, der eh schon weiß, was er zu tun hat?
Alternativen zur Medikation sehe ich hier nicht so leicht. Denn die Verhaltenstherapeutischen Interventionen bei Kindern fußen immer auch auf der sozialen Einbettung in die Familienstrukturen und die tragenden Arme der Eltern. Bei manchem Erwachsenen mag das auch ein Partner leisten, in wenigen Fällen kann eine solide Freundschaft unterstützend wirken und als Katalysator für Verhaltensanwendung dienen um Lebensstrukturen einzurichten und diese einzuhalten.
Für Personen, die sozial eben nicht eingebettet sind, kognitiv eventuell sogar stärker benachteiligt, für diese Gruppe werden diese Alternativtherapieansätze nichts bringen. Das ist mein logischer Schluss aus der Tatsache, das es nicht die Therapie ist die hilft, sondern das Traggerüst das jemand hat durch Familie und oder Freunde, welches ihn tatkräftig stützt.
Verhaltenstherapeutische Ansätze sind eben genau das was immer wieder versucht wird: Dem ADHSler Verhalten abzuverlangen, das er zu bringen willens ist, das er einsichtigerweise bringen möchte, aber nicht erbringen kann bzw. dauerhaft nicht erbringen kann.
Wie soll eine Selbststeuerungsstörung durch zusätzliche Erkenntnisse verbessert werden? Ich kann auf meine eigene Erfahrung primär zurückgreifen und trotz aller Einsicht kann ich am grundlegenden Zustand meiner ADHS Konstitution nahezu nichts ändern und das was ich ändern konnte hat mehrere Ewigkeiten gedauert. Nicht wegen mangelnder Erkenntniss, nicht wegen fehlendem Willen, sondern wegen der Selbststeuerungsstörung, die definitiv als umfassender Hardwareschaden zu verstehen ist. Diesen kann man nicht durch Softwareupdates korrigieren, sondern der Hardwarezustand muss in einen funktionaleren Zustand versetzt werden und das gelingt offensichtlich bei den meisten ADHSlern über die Medikation.
Ich möchte dabei den Verzicht auf Medikation in Frage stellen. Nicht jedoch den Sinn zusätzlicher Therapieansätze, die vor allem das Verständniss für die ADHS und damit dem ADHSler einen Weg zur Selbsterkenntniss bieten, eine Chance die Diskrepanz der eigenen inneren Persönlichkeitsstruktur und dem nicht realisierbaren auf stabiler Handlungsstruktur basierenden äußeren Persönlichkeitsstruktur aufzuklären und Verständniss für das eigene Leistungsdefizit zu finden und das kommunizieren zu können. Sich auch als vermeintlicher “Leistungsverweigerer” gegen die maßlosen Anfeindungen einer mitleidlosen Leistungsgesellschaft behaupten zu können und noch viel mehr könnten Therapieziele sein.
Meine Erachtens aber nicht das Herbeiführen eines Zustandes, der von Grundlage der Krankheit aus nicht in dieser Form möglich ist: Erreichen von Kompetenzen in der Selbststeuerung zur Heilung der Selbststeuerungsstörung.
Es werden meiner Einsicht nach bei Therapieansätzen nach diesem Modell immer nur mit denen Erfolg haben, die andere Menschen zur Alltagshilfe haben.
Ich möchte es mal (ausnahmsweise) kurz fassen: Durch die Medikation kann ich Anforderungen bewältigen, die sein müssen; ich kann auf meine Ressourcen besser zurückgreifen, wenn es notwendig ist und kann meine Stärken besser nutzen. Das erhöht den Selbstwert enorm und macht mein Leben etwas konstanter.
Dies aber zu begreifen, die Stärken zu sehen und auch über Fehler lachen zu können, war mir nur durch persönliche, menschliche Unterstützung möglich.
Die Kernsymptomatik kann sicherlich zum Teil durch Medis beeinflusst werden; aber alles, was diese in den Jahren der Verwüstung angerichtet hat, bedarf Hilfe beim Aufräumen.
Oder um es in den Worten eines amerikanischen Autors zu sagen: Die Medikation lässt die Symptome nicht verschwinden, aber sie macht sie weniger zerstörerisch. Das reicht jedoch in der Regel (vor allem bei der Diagnosestellung im Erwachsenenalter) meistens nicht mehr aus.
Meine eigene Erfahrung war ähnlich… Ohne Medis und diagnose hatte ich zwar einiges erreicht, aber bescheiden wenig um vergleich mit die meistens Menschen.
Die medis haben mich wirklich auch geholfen dass andere Massnahmen besser greifen! Damit ist meine Entwicklung auch schneller geworden und so hole ich einiges doch langsam nach. Irgendwie macht es mich lernfähiger und auch in meine Alter gibt es eine Menge zu lernen…
Auch nur mit Medis habe ich endlich geschafft eine Dauerstelle länger als 2 jahren zu behalten, obwohl ich noch sehr sehr viel zu lernen habe.
Aber Medis reichen auch nicht aus, nebenbei hatte ich wie vorher sehr sehr viel selber gemacht und bekomme dafür auch hilfe.
Als Befürworter von ADS-Medikamenten muss ich sagen, dass ich nach deren längerem Gebrauch und verschiedenen Therapieansätzen bei mir persönlich feststellen kann, dass ich inzwischen oft noch die gleichen Fehler mache, aber inzwischen souveräner und besser damit umgehen kann. Vor allem spontaner reagieren!!! Im Grossen und Ganzen hat sich meine Lebensqualität entscheidend gebessert und da hat vor allem das neue Selbstvertrauen einen grossen Stellenwert (…) Wenn man das einem Kind vermitteln kann? Also nicht nur Medis reinstopfen und (oft abstruse) Therapien und Nahrungsmittelversuche, sondern auch, es auf den Stand bringen, dass es versteht, dass es nun leistungsfähiger ist, Probleme besser lösen kann, Fehler besser managen kann und ein angenehmerer Mensch ist?