ADHS und Pausen: Zeitplanung und die Pflicht zur Erholung
Jeder Sporttrainer würde seinen Athleten bei jeder Form von Training bzw. körperlicher Anstrengung regelmässige Pausen bzw. Ruhezeiten verordnen. Es macht einfach keinen Sinn, sich ohne Regenerationsphase immer härter und stärker zu überlasten.
Diese banale Weissheit ist aber für ADHSler aus vielerlei Gründen kaum in die Tat umzusetzen.
Das hängt einerseits damit zusammen, dass das ADHS-Gehirn aufgrund von Besonderheiten der Netzwerke (sog. Default mode Network) eben gerade auch im Ruhezustand nicht Ruhe gibt. Sondern quasi wie ein inneres Rad immer und immer weiter rotiert. Unerledigte Aufgaben (auf dem letzten Drücker) bzw. Sorgen und Probleme bringen dieses innere Sorgenrad natürlich noch weiter auf Fahrt.
Das Umschalten zwischen Aktivitäts- und Ruhemodus ist also erschwert.
Zudem ist es häufig so, dass jede Form von Unterbrechung für eine Pause (und sei es nur die Mittagspause) von den ADHS-Klienten dann als eine Art „Absturz“ empfunden wird. Es gelingt dann kaum oder nur mit hoher Kraftanstrengung, wieder in den Arbeitsmodus zurück zu kehren. Nicht weil man nicht will, sondern weil die Eigenaktivierung so schwer ist. Das gilt für Aufgabenstellungen besonders, die man als langweilig, monoton oder aber von aussen „aufgedrückt“ bekommt. Naturgemäss also genau die Aufgaben im Studium oder an der Arbeit, die also schon so schwer von der Hand gehen.
Es erscheint also zunächst „effektiver“ zu sein, in einem Rutsch dann zu arbeiten, wenn subjektiv das Gehirn gerade mal mitmachen will. Leider dann häufig ohne die Wahrnehmung von Hunger oder Durst, selbst die Blasenfüllung wird dann gerne mal nicht mehr wahrgenommen. Ganz zu schweigen von der mentalen Erschöpfung und der damit einhergehenden erhöhten Fehleranfälligkeit oder Unstrukturiertheit bei den Ergebnissen. Mit der Folge, dass man dann die Arbeiten noch mal anfangen oder aber mit Korrekturen noch mehr Zeit verbraucht als gedacht.
Fast alle ADHSler werden Geschichten darüber berichten können, wie sie bei einer interessanten Tätigkeit quasi Zeit und Raum (und Lebenspartner) vergessen haben. Ohne eine Erinnerung von aussen (also eine Uhr mit akkustischer Warnfunktion oder aber eine real existierende Person aus Fleisch und Blut) wird die Selbstwahrnehmung hier meist versagen.
ADHSler haben eben auch kein (objektives) Zeitgefühl und damit auch keinen inneren Signalgeber für die Notwendigkeit von Pausen.
Umso wichtiger ist es aber, sich einen Tagesplan zu machen, der quasi Pausen verordnet. Und sich dabei die Pflicht aufzuerlegen, regelmässige Pausen zu machen. Hier ist es naturgemäss in einem Angestelltenverhältnis mit Kolleginnen und Kollegen vielleicht leichter, die gemeinsamen Pausen für Frühstück oder Mittagessen zu machen, als für Studenten oder Selbstständige. Aber das Grundprinzip müsste eben sein, dass man zunächst mal regelmässige Arbeitspausen einplant.
Pomodoro-Prinzip:
Vermutlich das bekannteste Zeitmanagement-Prinzip für das Gestalten von Arbeits- und Pausen-Phasen ist das Pomodoro-Verfahren. Dabei wird quasi die Zeit sichtbar gemacht (Visualisierung) und gleichzeitig die Selbstverpflichtung zur Umsetzung der Aufgabe erhöht.
Man benötigt:
a) Die Bereitschaft tatsächlich danach zu arbeiten und sich zuvor schriftlich die Aufgabe genau zu stellen, d.h. eine Aufgabenliste nutzen und die Aufgabe auswählen.
b) eine Eieruhr oder aber andere Visualisierungshilfe mit bildlicher Darstellung der abgelaufenen Zeit. Das Einstellen der Uhr ist dabei quasi schon der erste entscheidende Schritt, da damit quasi die innere Bereitschaft für das Arbeiten mit diesem Zeiteinteilungsprinzip hergestellt wird.
Die Uhr wird auf 25 Minuten eingestellt (bei einigen ADHSlern sind auch etwas kürzere Zeitintervalle zunächst hilfreich). Wenn diese Zeit abgelaufen ist, macht man
c) eine Pause von fünf Minuten. Wobei ich hier von einer gelenkten Beschäftigung ausgehen würde. Also quasi eine aktive Pausengestaltung.
Was man da machen kann, kommt später…
…. vielleicht…. ganz bestimmt….
Hallo Herr Dr Martin Winkler, wahrscheinlich werden Sie sich nicht mehr an mich erinnern, hatte auch einen Workshop bei der AD(H)S Tagung in Wuppertal geleitet, ist schon einige Monate her. Dem Beitrag möchte ich aus vollstem Herzen zustimmen, sieht man von leistungsbezogenen Aspekten im Sinne höherer Produktivität und effektiverer Leistung in Job und Haushalt ab, gibt es meiner Meinung nach einen weiteren entscheidenden Punkt. Wie bei vielen spät diagnostizierten, erwachsenen ADHS`lern kam es bei mir im Anschluss an eine lang andauernde private und berufliche Streßsituation zu einer Depression, verbunden mit Zwangsgedanken, Angst und quälender innerer Unruhe. Der Grund warum ich so weit aushole ist folgender, bis heute bin ich auf der Suche nach der goldenen Mitte, bezüglich stimulierender Aktivität und nötiger Pausen. Ich denke damit bin ich nicht alleine, viele AD(H)S`ler nutzen die nach überstandener Krise gewonnene, neue Kraft um sich zielsicher zum nächsten Zusammenbruch zu “stimulieren”, sprich physische und psychische Grenzen zu überschreiten. Erst wenn nichts mehr geht, holt sich der Körper eine erneute Pause in Form schwerster Erschöpfung. Problematischerweise scheint mit der Schwere der körperlichen Erschöpfung die quälende, innere Unruhe, Grübelei etc. proportional zu wachsen, was das ganze noch unangenehmer macht. Von daher, und auch wenn ich es selbst noch nicht erfolgreich umzusetzen vermag, halte ich es für sehr wichtig, dass sie auf den wichtigen Aspekt von Pausen und Regeneration hinweisen., Dafür herzlichsten Dank und einen freundlichen Gruß.
Na klar erinnere ich mich noch. Auch wenn ich es nicht zum Workshop selber geschafft habe, weil ich “abgefangen” wurde. Die goldene Mitte ist ja echt schwierig. Aber ich denke halt auch, dass man so eine Art “Systempflege” für ADHSler braucht. Dazu ist zunächst das Wissen um die ADHS-Besonderheiten und Stärken wichtig. Aber eben auch die Disziplin, sich dann an Grenzen und Pausen halten zu wollen. Gar nicht so leicht.
Merke ich jetzt an meiner neuen Arbeitsstelle in Bad Kösen nicht nur bei den ADHSlern. Burnout ist in der Klinik ein grosses Thema und die Übergänge zu ADHS dann doch irgendwie fliessend….