AllgemeinAus der ADHS-Forschung

ADHS, Emotionale Dysregulation und Dopamin

Langjährige Leser meiner Blog-Beiträge wissen, dass ich ADHS nie als eine statische Angelegenheit im Sinne des Trias Hyperaktivität, Impulsivität und Aufmerksamkeit verstanden habe. Vielmehr interessiere ich mich für die emotionalen Schwankungen (affektive Labilität) bzw. die emotionale Dysregulation bei ADHS.

Auch wenn das lange nicht als ein Symptom von ADHS anerkannt war, spielt die Instabilität und die Gefühlsregulation, aber auch die Abhängigkeit der Aufmerksamkeit und Ablenkbarkeit von der emotionalen Vorbereitung eine entscheidende Rolle im Alltag von ADHS-Familien.

Nun gibt es einen – aus meiner Sicht auch fachlich nicht ganz einfach zu begreifenden – englischsprachigen Artikel, der diese ganzen Gedanken auf der Ebene der Neurobiologie und Neuropsychologie zusammenfasst und ein entsprechendes „Top-Down-Model“ der Zusammenhänge zwischen der Rolle von besonderen negativen („hot“) executive functions, Dopamin und der ADHS-Symptomatik beschreibt. Top-Down Dysregulation—From ADHD to Emotional Instability.
Predrag Petrovich und der sehr bekannte ADHS-Experte  F. Xavier Castellanos
beschreiben dabei, wie eben dopaminerge Netzwerke bzw. Regelkreise sowohl auf die höheren Handlungsfunktionen, auf die Ablenkbarkeit und Aufmerksamkeit und eben die Stabilität von Gefühlen einwirkt. Durch einen speziellen „emotionalen Stropp-Test“, werden dabei die höheren Handlungsfunktionen alltagsrelevanter untersucht. Syndromtypisch bei ADHS ist ja, dass unter freundlichen, anregenden Bedingungen die Aktivierung und auch Ausdauer durchaus gelingen. Aber bei Wut, Langeweile, Angst bzw. jeglicher negativer Vorbewertung einer Aufgabe oder einer Person wird es problematisch. Genau darum geht es im Modell.

Schaut selber 

11 Gedanken zu „ADHS, Emotionale Dysregulation und Dopamin

  • Franziska

    Für mich persönlich-weiblich, ADHS Diagnose mit schwerer Ausprägung gerade mit 48 Jahren bekommen, nachdem mir andere Diagnosen wie wiederkehrende Depressionen, Bipolare Störung, Borderline Störung jahrzehntelang nacheinander „verpasst“ wurden-gehört die emotionale Instabilität (Affektlabilität) bzw . die emotionale Dysregulation zu den belastenden Symptomen meiner ADHS.

    Nicht nur, weil sie häufig zu heftigen Konflikten im familiären (Eltern, Ehemann, Kind mit ADHS), schulischen und beruflichem Bereich geführt hat (wegen Wutanfälle „vom Feinsten“) sondern auch, weil die überschießende Emotionen wie Wut, Angst, Traurigkeit, Kränkung zu heftigen depressiven Tiefs mit Selbstmordgedanken geführt haben (4 Selbstmordversuche seit meinem 23.Geburtstag) und auch zu einer enormen, sehr belastenden Stressempfindlichkeit ( Angst und Panikattacken).

    Mit meiner „Schusseligkeit“ (ich vergesse fast „alles“), Unaufmerksamkeit, Zerstreutheit, chaotische Organisationsfähigkeit kann ich mich mittlerweile einigermaßen arrangieren (meine Mitmenschen leider nicht immer). Aber diese überschießenden Emotionen bringen mich immer wieder an die Grenze des Erträglichen.

    Leider hatte mich bisher kein Arzt (Psychiater, Psychotherapeut) oder Psychologe auf ADHS getestet. Und das obwohl mein Sohn die Diagnose mit 7 Jahren erhalten hat, mein Vater mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit betroffen war. Aber weder eine Eigenanamnese noch eine familiäre Anamnese wurden trotz der unzähligen klinischen Aufenthalte (geschlossene und offene Psychiatrie, Psychosomatik) und Psychotherapien (ich habe gerade die 3. angefangen, der Psychologe hat keinen blassen Schimmer von ADHS!) durchgeführt. Stattdessen gab es Antidepressiva und Stimmungsstabilisierer, die die Stimmungsschwankungen nie gestoppt haben.

    Der Fisch stinkt wohl vom Kopf. WANN wird ADHS, die 3 % der Erwachsene betrifft und eine hohe Komorbiditätsrate aufweist, endlich in medizinischen Fakultäten unterrichtet?????

    Antwort
    • Franziska

      Update.Leider hat die Therapie mit Metylphenidat (bis 25 mg auftitriert) die emotionalen Schwankungen und die emotionale Dysregulation nicht verbessert, im Gegenteil. Mittlerweile bin ich auf der Borderline Station eines Bezirkskrankenhauses, der Borderline Patienten mit DBT ( Marsha Linehan) behandelt. Ich gehöre wohl zu den Patienten, die gleichzeitig an ADHS und Borderline leiden.

      Antwort
      • Das ist bei der emotional-instabilen PS häufiger so, gerade wenn es um Traumata geht. Dann wirkt die Medikation manchmal wie ein Vergrösserungsglas oder eine Brille und man spürt Ängste / Traumata erstmal stärker. Und muss dann erst Skills erlernen, die Gefühle zu regulieren.

  • Pingback: Florence Ascher

  • @Birgit Boekhoff

    Herzlichen Dank für den Hinweis.

    @Unsinnstifter

    Frühkindlicher Stress als Ursache von vielen psychischen Störungen ist wissenschaftlich gesichert. Stressbelastung in den ersten 6 Lebensjahren ist besonders gefährlich. Durch Methylierung werden Gene verändert (= Epigenetik). Diese Veränderungen können nicht rückgängig gemacht werden, allenfalls kann deren Wirkung kompensiert werden (pharmakologisch und/oder therapeutisch).
    Die genetische Veränderung bewirkt bei AD(H)S eine Hyperreagibilität des Stressregulationsystems. Die Stressantwort ist unangemessen.
    AD(H)S-Betroffene auf einer reizarmen Berghütte haben nach 2 Wochen keine Symptome mehr. Zurück im normalen Leben haben sie wieder die alte Stressüberreaktion.
    So meinte ich das.

    Anderer Auffassung ?
    Ich bin neugierig…

    Viele Grüsse

    Ulrich

    Antwort
    • Unsinnstifter

      Das ist falsch interpretiert.

      Die Stressreaktion ist auf Überforderung durch normale alltägliche Anforderungen zurückzuführen. Der ADHSler ist dazu in aller Regel nicht so gut in der Lage. Eine ständige mentale Ausnahmesituation im Alltag. Selbstverständlich erzeugt das ständig einen Stress, wenn immer Überforderung stattfindet. Sie sehen nicht das ADHSer mehr Leisten müssen und unter motivationellem Defizit leiden. Sie schaffen es kaum den Alltagsanforderungen gerechet zu werden, die für NTs oft schon schwer zu schaffen sind.

      Wenn man die Kinder oder Erwachsenen von allen Anforderungen fern hält, dann wird das dazu führen, das sie keine nennenswerten Symptome haben und genau das sieht aus als wäre alles in Butter unter „besseren“ oder „anderen“ Umständen.
      Ja wa für Symptome denn auch? Wenn ich mich nicht auf irgendwas konzentrieren muss, sondern auf der Alm abhängen kann und der ganze Tag nur Schmuh und Spass auf dem Programm steht, ist das Leben auch nicht fordernd. Wie soll da dann Streß entstehen?

      Hüthers Almversuch hat meines Wissens nach vor allem gezeigt, das die meisten Kinder dort an der Reizarmut leiden. Aber auch das ist nicht für alle beantwortbar, kann schon begeisterte Wanderer und Feld Wald Wiesen Kinder geben oder bei einem besonders gut ausgetüftelten für die Kinder spannenden Programm funktionieren diese auch gut. Weil der Reizlevel stimmt und weil die Probleme des Alltags mit seinen üblichen Leistungsanforderungen in Schule und Beruf wegfallen. Aber das Leben ist eben nicht Spass und Hobby. Es besteht nicht aus 12 Stunden Spiel und Spass am Tag.

      Die Kunst im Leben ist es, sich durch Nutzung der Selbststeuerungsfähigkeiten auf langfristige Ziele im Leben einzustellen und diese auch zu verfolgen und jeden Tag darauf hinarbeitend nach und nach seine Ziele zu erreichen. Das ist der Mangel der ADHSler. (Selbst-!)Ständig auf das Ziel ausgerichtet bleiben können, das man sich aussucht oder das sich ergibt und dies bis zum Erreichen durchhält indem man seine Ressourcen und Fähigkkeiten einsetzt. Die ADHS Symptome reduzieren diese Fähigkeiten.

      Das Almkonzept von Hüther hat seine Wurzeln in einer durchaus in sich nicht falschen Gesellschaftskritik, die der Meinung ist, das Menschen heute zu viel in zu Kurzer Zeit abverlangt wird und dafür die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen oder optimal sind. Auch und Vor allem bei Kindern. Es bleiben ja nicht nur ADHSler auf der Strecke, aber diese überdurchschnittlich häufiger. Es ist das ADHS-Symptombild das die Aufmerksamkeit der Gesellschaftskritiker erregt und diese dann aufs Glatteis ihrer falschen Interpretation führt.

      Man kann ADHS und seine Probleme nicht beurteilen, wenn man die ADHSler aus dem Alltag herausnimmt. Deshalb sind alle stationären ADHS Behandlungen, Lernprogramme und Beurteilungsversuche (Alm ist eine Form von stationär-kuratorischer Behandlung) nicht zielführend.

      ADHSler brauchen im Alltag strukturgebende Hilfestellungen wie sie das Coaching anbietet. Unter diesen Bedingungen kann man sich auch ein realeres Bild der ADHS machen.
      Sie nehmen das warscheinlich durchaus richtig wahr, das ADHSler regelmäßig überdreht und aufgekratzt sind. Das ist aber Resultat der Überforderung und nicht eines überreagibilen Stresssystems.

      Allerdings kann ich mir auch vorstellen, das innerhalb der Gruppe der ADHSler viele Nicht-ADHSler herumlungern, die genau das Problem haben, das Sie beschreiben: Sie haben zu viel Streß mit dem sie nicht klar kommen und das kann ähnliche Probleme auslösen wie die ADHS selbst. In der Regel sind solche Personen aber anders und man kann ihnen dauerhaft helfen. Es dürfte sich auch nicht derselbe Aspekt des Scheiterns an Zielen oder Underarchievertum zeigen. Im Gegenteil sind solche Personen eher mit Burn-Out-Patienten vergleichbar, die in eine Phase der Überreizung gehen und ständig zuviel Leisten, sich beschäftigt halten, geradezu auf der Flucht sind.

      Beste Grüße!

      Antwort
      • @Unsinnstifter: Vielleicht ist das ein Missverständnis. Ich sehe in einer manifestierten AD/H)S eben keine „einfach so psychologisch leicht therapierbare“ Störung, sondern eine biologisch-neurologisch ausgeprägte Störung, die nicht einfach so mit ein bisschen Übung in den Griff zu bekommen ist. Ich halte sorgfältig ausgewählte Medikamente für wichtig.

        Wenn ich schreibe, dass AD(H)S durch frühkindliche Stressbelastung manifestiert wird, heisst es nicht, dass mit einfacher Wegnahme der Stressbelastung alles wieder gut wäre. Sie ist jetzt eben epigenetisch manifestiert, d.h. sie hat sich körperlich „eingebrannt“, d.h. die Ursache AD(H)S ist nun entstanden.
        Die Folge einer einmal manifestierten AD(H)S ist dann (unter anderem) eine Störung der Stressachse, d.h. die Stressantworten sind nun inadäquat.
        Diese Mechanismen sind auch von anderen psychologischen Störungen bekannt, z.B. Depression, Angststörungen etc.
        Andersherum formuliert: mit einer passenden genetischen Disposition alleine bekommt man noch kein AD(H)S. Diese muss erst aktiviert werden. Das ist aber kein Prozess, der durch Therapie mehr abänderbar wäre.
        Falls gewünscht kann ich eine ganze Reihe von Fachliteraturquellen dazu nennen.

        Stress hat bei AD(H)S also zwei Funktionen; einmal als Ursache für das Entstehen von AD(H)S, wobei dies nicht rückgängigmachbar ist, und dann als Reizauslöser der AD(H)S-Folge (Stress bewirkt Stressüberrreaktion).

        Falls Du es immer noch anders meinst, würde ich gerne genauer verstehen.

        Viele Grüsse

        Ulrich

  • Birgit Boekhoff

    Ich schließe mich dem an, dass die bisher bei uns zur ADHS-Diagnostik verwendete Symptomtrias zu kurz gegriffen ist. Ich habe bisher keinen ADHS-Menschen kennen gelernt, der nicht auch irgendwie Schwierigkeiten mit der Gefühlsregulation gehabt hätte. Daher finde ich die Wender-Utah-Kriterien von Paul Wender so gut, weil sie auch genau diesen Bereich und den Bereich der Selbstorganisationsschwierigkeiten mit aufnehmen.
    Und im Coaching erlebe ich es auch sehr häufig, dass Klienten Dinge nicht umsetzen oder erledigen können, wenn Sie emotional negativ voreingestellt sind (Frust, Stress, Wut, Angst), dass genau die gleichen Dinge aber sehr wohl funktionieren, wenn sie emotional neutral oder am besten positiv dazu eingestellt sind. Die Gefühlsregulation ist ein sehr wichtiger und leider viel zu sehr unterschätzter Teil in der ADHS-Hilfe. Wenn ADHS-Menschen hier mehr Kompetenz haben, dann gelingen viele andere Dinge auch besser.

    Antwort
  • Hallo,

    ich denke ebenfalls, dass die emotionale Dysregulation (spätestens bei Erwachsenen) das Symptom von AD(H)S ist, das den Betroffenen das grösste Leid zufügt.

    Die von den Autoren des Beitrags geschlagene Brücke zu der bei Borderline und antisozialer Persönlichkeitsstörung bekannten emotionalen Dysregulation ist für mich schlüssig.

    AD(H)S ist (wie die meisten Persönlichkeitsstörungen, aber auch PTSD und einiges anderes) eine Folge frühkindlicher Stressbelastung, die auf eine spezifische genetische Disposition trifft. Für Aggressionsproblematiken (Borderline, antisoziale PS u.a.) wurde immer wieder eine spezifische genetische Disposition des MAO-A-Gens genannt.
    Diese wurde auch bei ADHS als Disposition genannt, aber eben nur bei ADHS, also bei AD(H)S mit Verhaltensstörungen. Bei ADS ist MAO-A nicht beteiligt, da sind nur die anderen für AD(H)S typischen Gendispositionen bekannt.

    Ich vermute derzeit, dass emotionale Dysregulation im Aggressionsspektrum ein eigenes Störungsbild ist, welches in unterschiedlicher Intensität auftreten kann. Bei schwacher Intensität und zugleich vorliegendem AD(H)S wird es unter ADHS miterfasst, bei höherer Intensität erhält es eigene Namen. (Falls jemand was weiss, um diese Spekulation zu widerlegen, wäre ich dankbar…)

    Was mich im Moment beschäftigt: wie ist das mit emotionaler Dysregulation bei ADS ?
    Gibt es sie dort auch ?
    Geht sie dort eher in das Angst/Zwangs-Spektrum („internalisierte Aggression“)?

    Beste Grüsse

    Ulrich Brennecke

    Antwort
    • Birgit Boekhoff

      Aus meiner Erfahrung als AD(H)S-Coach kann ich sagen, dass ich auch bei den hypoaktiven, eher schwerpunktmäßig unaufmerksamen ADS-Menschen eine emotionale Dysregulation sehe (wenn man es so medizinisch defizitär ausdrücken will). Ich beobachten bei diesen Klienten überwiegend diese emotionale Problematik dahin gehend, dass sie sich schlecht motivieren und begeistern können, sie schießen nicht unbedingt über (wobei das bei Wut und Ärger auch der Fall sein kann) und tragen ihre Emotionen oft nicht nach aussen, trotzdem sind sie auch innerlich aufgewühlt und überflutet oder gelangweilt und „undefiniert leer“. Die Emotion passt auch bei diesen Menschen oft nicht zur Situation und sie können eine Passung bzw. Regulation oft nicht herstellen. Das sind keine wissenschaftlichen Untersuchungen, sondern wie gesagt nur Beobachtungen.

      Antwort
    • Unsinnstifter

      AD(H)S ist (wie die meisten Persönlichkeitsstörungen, aber auch PTSD und einiges anderes) eine Folge frühkindlicher Stressbelastung, die auf eine spezifische genetische Disposition trifft.

      Gewagte Psychologisierung der ADHS. Dieser Kram ist es, der einer adäquaten Behandlung der ADHS oder auch ADS entgegensteht. Aber so kann der Psychologe mit seinem Gefrickel und Gequatsche natürlich Jahrelang einen Patienten „behandeln“.

      Die Streßprobleme sind kein direktes Symptom der ADHS sondern eine Folge der ADHS und instabilen genetisch strukturierten Charakterprägung. Das hat auch Folgen in der sozialen Entwicklung, die dann mit vielen Stressoren wegen der ADHS wirksam wird und eine normal-gesunde Entwicklung konterkarriert, gerade weil ADHSler oder auch ADSler die normalen Erwartungen und Lebenswege in der Regel nicht so gut oder teilweise gar nicht richtig erfüllen können.

      Schluss mit der Psychologisierung.

      Antwort

Kommentar verfassen

Entdecke mehr von Blog ADHS-Spektrum

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen