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Beitrag zum Zusammenhang zwischen ACE und ADHS


ADHS, oder Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, ist ein weit verbreitetes Phänomen, das in der Bevölkerung oft missverstanden wird und dessen Ursachen und Zusammenhänge noch immer Gegenstand intensiver Forschung sind. Eine der jüngsten und interessantesten Untersuchungen in diesem Bereich hat sich mit der Beziehung zwischen objektiver kognitiver Leistung und sogenannten ACEs (Adverse Childhood Experiences, belastende Kindheitserfahrungen) beschäftigt, insbesondere bei Personen, die über ADHS-Symptome berichten.

Einführung in das Thema ACE

Adverse Childhood Experiences, oder ACEs, sind traumatische Ereignisse, die während der Kindheit auftreten und nachweislich langfristige gesundheitliche und soziale Auswirkungen auf das Individuum haben können. Dazu gehören körperlicher, emotionaler und sexueller Missbrauch, Vernachlässigung und das Zeugnis von Gewalt oder anderen traumatischen Ereignissen.

Die Auswirkungen von ACEs auf die geistige Gesundheit sind gut dokumentiert, mit steigenden Beweisen, die einen direkten Zusammenhang zwischen frühem Trauma und späteren kognitiven und emotionalen Schwierigkeiten zeigen. Doch wie beeinflussen diese Erfahrungen genau das Risiko, ADHS-Symptome zu entwickeln?

Studiendetails: Eine genauere Betrachtung

Ein Team von Forschern hat sich dieser Frage angenommen und eine umfassende Querschnittsstudie durchgeführt. Die Studie begann mit 144 Erwachsenen, von denen 115 nach bestimmten Kriterien für die Endanalyse ausgewählt wurden. Bei der Betrachtung der demografischen Daten dieser Gruppe stellte sich heraus, dass sie recht divers war, mit einem Durchschnittsalter von 28,42 Jahren und einer durchschnittlichen Bildungsdauer von fast 16,5 Jahren. Interessanterweise waren 65% der Teilnehmer Frauen.

Jeder dieser Teilnehmer füllte den ACE-Fragebogen aus, ein standardisiertes Instrument, das entwickelt wurde, um belastende Kindheitserfahrungen zu quantifizieren. Anhand ihrer Antworten wurden die Teilnehmer in zwei Gruppen eingeteilt: diejenigen mit einem hohen ACE-Wert (vier oder mehr belastende Erfahrungen) und diejenigen mit einem niedrigen ACE-Wert (drei oder weniger Erfahrungen).

Zusätzlich zu diesem spezifischen Fragebogen wurden weitere psychometrische Tests durchgeführt, um Symptome von Depression, Angst und wahrgenommenem Stress zu messen.

Die Beziehung zwischen ACE und ADHS

Die Ergebnisse waren eindeutig. Die Gruppe mit hohen ACE-Werten zeigte nicht nur höhere ADHS-Symptome im Vergleich zur Gruppe mit niedrigen ACE-Werten, sondern diese Symptome waren sowohl in der Kindheit als auch im Erwachsenenalter präsent.

Die genauen statistischen Ergebnisse zeigten signifikante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen in Bezug auf impulsives Verhalten, Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität. Es ist besonders erwähnenswert, dass diese Unterschiede sowohl für Kindheitssymptome als auch für Symptome im Erwachsenenalter bestanden.

Diese Daten tragen zu einem wachsenden Körper von Beweisen bei, die auf eine klare Verbindung zwischen ADHS und belastenden Kindheitserfahrungen hinweisen. Es ist nicht nur so, dass Individuen mit einem höheren ACE-Wert ADHS-Symptome melden; die Schwere dieser Symptome scheint ebenfalls zuzunehmen.

Die Bedeutung dieser Erkenntnisse

Was bedeutet das für die ADHS-Gemeinschaft und die medizinischen Fachkräfte, die sie betreuen? Erstens, es betont die Notwendigkeit, eine ganzheitliche Herangehensweise an die Diagnose von ADHS zu haben. Eine Diagnose sollte nicht nur auf aktuellen Symptomen basieren, sondern auch die Lebensgeschichte des Individuums und mögliche traumatische Erfahrungen berücksichtigen.

Zweitens, diese Ergebnisse könnten potenziell die Behandlungsansätze für ADHS beeinflussen. Wenn belastende Kindheitserfahrungen eine solche Auswirkung auf die ADHS-Symptome haben, könnte es dann nicht sinnvoll sein, Therapieansätze zu nutzen, die sowohl auf die ADHS-Symptome als auch auf die traumatischen Erfahrungen abzielen?

Drittens unterstreichen diese Erkenntnisse die Bedeutung der Prävention. Wenn wir wissen, dass bestimmte Kindheitserfahrungen das Risiko für ADHS erhöhen, sollten wir dann nicht mehr in Präventionsprogramme und Bildung für Eltern und Betreuer investieren?

Zukünftige Forschung

Obwohl diese Studie bemerkenswerte Einblicke bietet, bleiben noch viele Fragen unbeantwortet. In welchem Maße beeinflussen ACEs das ADHS-Risiko im Vergleich zu anderen Faktoren wie Genetik oder Umwelt? Gibt es bestimmte ACEs, die stärker mit ADHS korreliert sind als andere? Wie können medizinische Fachkräfte am besten sowohl ACEs als auch ADHS-Symptome in ihrer Praxis berücksichtigen?

Es besteht ein klarer Bedarf an weiterer Forschung, um diese Fragen zu beantworten und einen klareren Weg zur Diagnose, Behandlung und Prävention von ADHS aufzuzeigen. Es ist jedoch unbestreitbar, dass belastende Kindheitserfahrungen eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von ADHS-Symptomen spielen, und dieser Faktor sollte in der klinischen Praxis nicht übersehen werden.

Abschluss

Insgesamt zeigt diese Studie den komplexen Zusammenhang zwischen traumatischen Kindheitserfahrungen und der Entwicklung von ADHS im späteren Leben. Es ist ein Appell an alle – von medizinischen Fachkräften bis zu Eltern – sich bewusst zu sein, wie tiefgreifend die Auswirkungen von Kindheitstrauma sein können und wie sie sich in vielfältigen Formen, einschließlich ADHS, manifestieren können. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir als Gesellschaft die Notwendigkeit anerkennen, unsere Kinder vor traumatischen Erfahrungen zu schützen und die notwendigen Ressourcen bereitzustellen, um diejenigen zu unterstützen, die solche Erfahrungen gemacht haben.

Alfonso D, Basurto K, Guilfoyle J, et al. The effect of adverse childhood experiences on ADHD symptom reporting, psychological symptoms, and cognitive performance among adult neuropsychological referralsJ Atten Disord. Published online September 11, 2023. doi:10.1177/10870547231196326

5 Gedanken zu „Beitrag zum Zusammenhang zwischen ACE und ADHS

  • Falschparker

    Hallo,

    wurde denn bei der Studie beachtet, dass eine bereits vorliegende ADHS eines Kindes traumatische Ereignisse im Kindesalter wahrscheinlicher macht? In diesem Fall wären Ursache und Wirkung genau umgekehrt als von den Autoren angenommen wird.

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  • Birgit Herrmann

    Wichtig wäre auch, dass man den Begriff Trauma weit genug fasst. Ich könnte mir vorstellen, dass manche Probanten traumatische Erlebnisse nicht als solche definieren. z.B. werden Mobbing in der Schule oder abschätziges Verhalten von Eltern oder Bezugspersonen nicht als solches eingestuft und heruntergespielt.

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  • Christine

    Ich habe mich kürzlich mit dem Thema “Traumata” und “Entwicklungstraumata” beschäftigt und kam zu der Erkenntnis, dass es von grundlegender Bedeutung ist, dahingehend Therapieansätze zu entwickeln, die wirklich für die Betroffenen von Nutzen sind. Das ist enorm wichtig für ADHS-Betroffene und hat auch mich als ADHS-Betroffene unglaublich entlastet. Ich mache hier einen Verweis auf Dr. Bruce Perry, der mit Oprah Winfrey ein klasse Buch zu diesem Thema geschrieben hat, namens “Was ist dein Schmerz”.
    Ich sehe seither die Welt mit anderen Augen und bin viel “gnädiger” mit mir selber.

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  • Moin,
    wenn die Eltern mit ihrer eigenen ADHS-Symptomatik überfordert sind, wundert es mich nicht, wenn ein Kind (insbesondere in vergangenen Jahrzehnten mit schwarzer Pädagogik) ACEs ausgesetzt wird. In so einem Szenario wäre eine ACE gewissermaßen eine komorbide Folge des Familien-AHDS und nicht die ADHS-Symptome eine Folge des ACE. Die Unbestreitbarkeit, die Sie postulieren, sehe ich aufgrund Ihres Blogbeitrages nicht.
    Selbstverständlich bleibt richtig, dass, egal wie herum man eine Kausalität sehen will, die Korrelation relevant bleibt und ADHS-Betroffene unter dem Gesichtspunkt von möglichen ACE gesehen werden sollten, aber eben auch andersherum jemand mit ACE nach ADHS in der Familie als mögliche (Teil-)ursache untersucht werden könnte.
    Zum Schluss: Herzlichen Dank für Ihren Blog-Eintrag!

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  • Ja klar, wir müssen die Kinder vor Trauma schützen. Hatten wir nicht vor kurzem gehört, dass wir die Alten schützen müssen und den Kindern das Verlassen des Hauses verbieten mussten, weil sie sonst Schuld am Tod der Omi hätten?

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