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Hirschhausen und ADHS


Hier der Link zur ARD-Medikathek

Ein wahrhaft erhellender und aufschlussreicher Beitrag! „Hirschhausen und ADHS“ in der ARD hat einen wesentlichen Dienst für die Gemeinschaft der ADHS-Betroffenen und auch für das allgemeine Publikum geleistet. In einer Zeit, in der viele Vorurteile und Missverständnisse über ADHS kursieren, hat es Hirschhausen geschafft, diese mit Empathie und wissenschaftlicher Präzision zu entkräften. Die Sendung war nicht nur informativ, sondern auch wertschätzend und bot eine Plattform, auf der die Akzeptanz von Neurodivergenz gefördert wurde. Ein großes Dankeschön dafür!

Und farbig wie ADHSSpektrum war der Beitrag ganz sicher…

Natürlich findet mein ADHS-Gehirn sofort Dies und Das was mich ärgert was ich anders ausgedrückt hätte oder andere Schwerpunkte sehe. Aber das bin ICH und meine schnell anspringenden Kritiker bei ADHS. . Und ich sehe ein wenig die Gefahr, dass ADHS nun quasi gleichgesetzt wird mit der Umtriebigkeit von etlichen Sternchen und Influencern und gerade die Stilleren Formen quasi wiedermal untergehen. Neurodiversität bzw. Neurodivergenz werden wild durcheinander gewirbelt, aber immer angesprochen. Geschenkt.
Denn das kann und soll so eine Sendung gar nicht alles aufgreifen. Deutlich wurde, dass ADHS existiert, dass es Leidensdruck erzeugt (hier speziell mit Schwerpunkt Sucht und Abgleiten in die Kriminialität u.a. durch Selbstmedikation). Aber eben auch toll ist, Vielfalt und Stärken hat und eben nicht eindimensional darstellbar. Und das sind eben relevante Aspekte. Ich fand auch schön dargestellt, wie ein Familiensystem bzw. Familienleben durch ADHS bei mehreren Familienmitgliedern belastet ist. Trotz aller positiven Seiten.

Trotz dieser positiven Schritte, die durch solche Beiträge gemacht werden, bleibt die Versorgungssituation im Bereich ADHS, insbesondere bei Jugendlichen und Erwachsenen, besorgniserregend. Es herrscht ein dringender Bedarf an einer besseren und zugänglicheren Diagnostik sowie an qualitativ hochwertigen Therapieangeboten. Denn am gleichen Tag, an dem der Beitrag im klassischen TV läuft, erreichen mich verzweifelte Anfragen aus Bonn und Köln, weil es eben überhaupt keine Behandlung gibt. Und was nützt eine Diagnosestellung, wenn man dann wieder allein gelassen wird.

Es ist zu hoffen, dass dieser Beitrag nicht nur zur Aufklärung, sondern auch zur Sensibilisierung für die Notwendigkeit von Veränderungen in diesem Bereich beiträgt.

Wie ist bei Dir dieser Beitrag angekommen? Werden dadurch Barrieren und Unverständnis in der Öffentlichkeit weiter abgebaut?

6 Gedanken zu „Hirschhausen und ADHS

  • Hallo ihr Lieben,
    ich finde den Beitrag schwierig. Zwar ist es grundsätzlich positiv zu bewerten, dass überhaupt über ADHS gesprochen wird und hier sowohl über einige der Stärken, aber auch über die sozialen Auswirkungen der Unterversorgung. Aber leider bedient der Beitrag wieder nur Clichés.
    Ich habe mir die Frage gestellt, ob ich diesen Beitrag Freund:innen/ Angehörigen als Aufklärung zeigen möchte – und meine Antwort ist bei allem Respekt für diesen Film leidern ein Nein.
    Hier in Kürze einige Punkte:
    [sorry, ist doch nicht kurz geworden]

    – Es wird wiederholt von ADHS als eine Erkrankung gesprochen, was mittlerweile sogar medizinisch widerlegt ist. Auch wenn die erbliche Komponente und die Begriffe Neurodiversität erwähnt werden, so sind sie doch nicht klar voneinander abgegrenzt und führen zu Verwirrungen.

    – Es wird nur mit den klassischen Definitionen der drei WHO Kriterien gearbeitet.
    Noch nicht einmal Wender-Utah-Kiterien, die wenigstens noch die Affektlabilität und die emotionale Überreagibilität mit hineinnimmt werden erwähnt.

    – Es bleibt bei der Beschreibung eines “Aufmerksamkeitsdefizits” und “Hibbeligkeit” anstelle der Beschreibung einer Steuerungssymptomatik, die viele Bereiche betrifft.
    Begriffe oder Beschreibungen wie Exekutiv Funktionen, Zeitblindheit, Task Wechsel Schwierigkeiten, Vigilanz, stark interessenbasierten Aktivierbarkeit, die Fähigkeit zum Hyperfokus, der Reizoffenheit, der emotionalen Verletzlichkeit, Priorisierungsschwierigkeiten, der Impulsivität etc. etc. bleiben am Rande oder werden gar nicht erwähnt.

    – Es wird leider auch nicht sehr klar, dass es sich NICHT um ein Verhaltensproblem, sondern um eine angeborene neurologische Konstitution handelt – ein “niedrig dopaminerges System”.
    Das Beispiel mit der Diabetes im Kopf bleibt für nicht Eingeweihte unverständlich, weil es als “charakterliche Insuffizienz” bezeichnet wird, anstelle von z.B. Dopamin-Insuffizienz.

    – LEIDER wird als “Experte” Dr. Ralph Meyers Raum gegeben. Ich halte Dr. Ralph Meyers für einen sehr schwierigen und streitbaren Arzt, der mit der Theorie der frühkindlichen Reflexe, der postulierten “Heilbarkeit von ADHS” und anderen wissenschaftlich sehr umstrittenen Thesen nicht zur Aufklärung über ADHS beiträgt, sondern im Gegenteil zur weiteren Verwirrung. Leider sind solche Menschen, ähnlich wie einige andere in den Medien sehr umtriebig und werden deshalb immer wieder interviewt.

    – Wirkliche Expert:innen wie z.B. Cordula Neuhaus, Heiner Lachenmeier, Astrid Neuy-Lobkowicz, Anna Maria Sanders aber auch dich Martin Winkler und viele andere werden dagegen überhaupt nicht erwähnt.
    Ebenso wenig taucht der Selbsthilfeverein ADHS Deutschland e.V. auf, obwohl dies eine echte Anlaufstelle für Ratsuchende und Betroffene sein könnte.

    – Positiv ist, dass erwähnt wird, dass Frauen durch die besseren Kompensationsmechanismen aufgrund gesellschaftlicher Erwartungen oft nicht diagnostiziert werden. Leider wird aber wieder das Cliché bedient Frauen wären haupsächlich die hypoaktive Variante, was einfach nicht stimmt. (Ich bin ein leuchtendes Beispeil dafür 😉 )

    – Als Betroffene ist mal wieder eine Person, die erst vor kurzem diagnostiziert wurde (Anfang 2023). Sie glaubt sich nun genug damit beschäftigt zu haben um ein Buch / Blog oder sonstwas dazu zu schreiben. Prinzipiell natürlich positiv und ich freue mich darüber. Aber die Tiefe und Bedeutsamkeit außerhalb des reinen Dopamin-Kick-Effekts fällt dabei leider hinten runter. Dies führt zur Einseitigkeit und Verflachung in der Darstellung.
    Viele nicht so offensichtliche Aspekte, die für viele Betroffene aber die Haupmerkmale der Alltagsschwierigkeiten darstellen bleiben so unerwähnt.

    – Generell werden Masking / Kompensationsmechanismen und die dadurch verdeckt laufende ADHS Konstitution eher wenig erwähnt. Ich kenne aber viele Personen, die jahrelang nur funktionieren, funktionieren, den perfekten Haushalt und Arbeit zu haben scheinen, bis sie dann mit Mitte 40 oder 50 scheinbar aus heiterem Himmel zusammenbrechen und mit BurnOut in der Klinik landen.

    – Unerwähnt bleibt Adipositas und Bulimie als sehr häufige Komorbidität bei Frauen. Unerwähnt bleibt auch dass Perfektionismus fast zwanghaftes Verhalten und Organisation im Haushalt durch eine überkompensierte ADHS-Konstitution begünstigt wird.
    Unerwähnt bleibt, dass sehr viele Frauen mit einer ADHS aufgrund ihrer Impulsivität als Borderlinerin fehldiagnostiziert werden, dass viele Männer als manisch-depressiv Fehldiagnostiziert werden.
    Unerwähnt bleiben die vielen Stressfolgeerkrankungen.
    Unerwähnt, aber gerade in der Kindheit sehr wichtig ist die erhöhte Traumatisierbarkeit aufgrund bestehender Regulations-Verarbeitungs-Mechanismen.

    Ich weiß, dies ist die überkritische Denkerin in mir…
    Ich weiß, ich werde diesem Film nicht gerecht und überfrachte ihn mit Erwartungen.
    Und es tut mir leid.
    Dieser Film ist immerhin eine der besseren und ich freue mich über ihn.

    ABER:

    Viele Menschen, die ich kenne würde ich gerne einen Film zeigen, der zeigt was ADHS wirklich ist, was es sein kann, wie bunt das Spektrum ist. Ein Spektrum bestehend aus Reizoffenheit, emotionalen Dysphorien, schwankender, nicht abrufbereiter Leistungsfähigkeit, starke Überreagilität, erhöhte oder erniedrigte Schmerzwahrnehmung, exekutiven (Dys)Funktionen und entsprechende Desorganisation, positiver wie negativer Hyperfokus, divergentes Denken, aber auch die völlige Unfähigkeit der Priorisierung, Gedankenspiralen im positiven wie im negativen, so vieler fantastischer Fähigkeiten, häufig bildhaftes Denken, manchmal parallel mit LRS, Dyskalultie, oft gepaart mit Kreativität und künstlerischer Begabung, manchmal hochbegabt, manchmal zusätzlich mit Autistischen Merkmalen oder Hochsensibilität, mit der Fähigkeit sich empathisch für andere Einzusetzen, ja sogar als Kernkompetenz viel besser für andere, als für sich selbst Dinge zu erledigen, aber eben auch Scham, wenn vieles dann nicht so klappt und die Barrieren für andere so unglaublich unsichtbar scheinen.

    ADHS ist eben eine völlig falsche Bezeichnung, die ja auch von vielen Betroffenen abgelehnt wird. Wir haben kein Aufmerksamkeitsdefizit! Wir sind überaufmerksam, wir haben eine breite, offene Aufmerksamkeit, wir denken divergent und vernetzt, manchmal springen wir von einem zum anderen, aber wir können auch hyperfokussieren.

    Wir haben eine andere Art der Wahrnehmung und Steuerung vieler Bereiche, von der Sinneswahrnehmung bis zur Aktivierbarkeit (Vigilanz).
    ADHS ist keine Krankheit, sondern ein angeborenes Charaktermerkmal – mit Stärken und mit Schwächen.

    So sehr wünsche ich mir einen Beitrag genau darüber!

    Danke euch, sorry für die Länge und Redundanz

    P.S. Falls es interessiert, ich bin cis-weiblich, weiß, knapp über 50, mit Mitte 40 ziemlich spät diagnostiziert mit allen möglichen Begleiterscheinungen

    Antwort
  • Den Schwerpunkt auf Entstigmatisierung zu legen und allgemeinverständlich sein zu wollen, fand ich sehr gut und weitgehend gelungen. Von daher überwiegt für mich der positive Aspekt.
    Nicht verstanden habe ich die Szene der Medikamenteneinnahme. Es war mir komplett neu, wie der Inhalt der Kapsel eingenommen wurde.
    Ob in diesem Betrag der Begriff der Neurodiversität eingeführt werden musste, kann diskutiert werden. Der Gedanke der Entstigmatisierung ist damit verbunden, aber wenn ich einen Begriff neu einführe, sollte er eindeutig genutzt werden. Es ist von neurodiversen Menschen die Rede gewesen. Gemeint sind wohl neurodivergente Personen, weil um als Mensch neurodivers zu sein, bräuchte es wenigstens 2 Gehirne. Schade, um die Uneindeutigkeit an dieser Stelle.
    Eine red flag ist für mich, wenn pauschal unter AD(H)S gelitten wird. Ja, das gibt es. Die meisten Menschen mit AD(H)S, die ich kenne, beziehen sich bei Leiden auf eine soziale Ursache. Also, das Leid entsteht weniger durch AD(H)S als durch das Unverständnis anderer, wie ein Mensch mit AD(H)S agiert. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Nicht mein AD(H)S ist das Problem, sondern das Unverständnis in der Gesellschaft. Dies zu verändern versucht dieser Film. Und das ist gut so.

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    • Christine

      Toller Kommentar, vor allem der letzte Abschnitt. Das war ein Volltreffer, ich kann das nur bestätigen.
      Leider wird ADHS immer noch als “Krankheit” gesehen und nicht als einen Wahrnehmungsstil, der ein bestimmtes Umfeld braucht. Der soziale Aspekt ist für mich der Wichtigste. Alles Leid, das die ADHS-Problematik auslöst und verstärkt, wird überwiegend durch Inakzeptanz, Beziehungslosigkeit- und -armut sowie fehlender Unterstützung verursacht.

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  • Für mich als Laie, aber so wie es aussieht doch Betroffene …
    Gut verständlich, und in einer “handlichen” Portion, die nicht überfordert. Ich habe im Anschluss noch den vorgeschlagenen Beitrag von arte – ADHS bei Erwachsenen geschaut.
    Es ist wie im Kindergarten, auf der Suche nach Schnittmengen mit bunten, unterschiedlich großen Plastikvierecken, -dreiecken und runden Chips. Schnittmengen gibt es tatsächlich einige. Trotzdem ist es irgendwie immer noch erschreckend, wenn das Gedankenkarussell mal stoppt und man versucht, sich einzelne Punkte bewusst zu merken.
    – vergessen zu essen, trinken – Haken
    – wenn man nicht in die Routine kommt, dass man für einen ganzen Tag “versackt” – Haken
    – Listen für alles und jedes, manchmal mit den kleinstmöglichen Ablaufschritten – Haken
    – man andere mit seiner Art wahnsinnig machen kann – Haken
    – Spontanität liebt und fürchtet zugleich – Haken
    – Achterbahn oder Aktiv-Sport, beides nicht so meins, aber Tai-Chi und Singen bringt und hält mich im Moment, was ich als angenehm empfinde.

    Hab ich eine Diagnose? Nein. Anfang 20 vermutete mein Hausarzt mal eine depressive Verstimmung und ein berühmtes Johanniskraut-Präparat wurde mir gegeben, das überhaupt keine Wirkung zeigte.
    Ich habe mich redlich um Ablenkung bemüht, beziehungsweise Lenkung meiner kreativen Impulse, malen, zeichnen, töpfern, drucken, kreativem Schreiben, singen, … Sammeln diverser UFOs (viel angefangen, nicht fertiggemacht, irgendwann aufgegeben). 30 Jahre später nicht mehr ganz so aktiv, außer in Gedanken, was die Sache ja nicht einfacher macht.

    Im Moment habe ich den wohl höchsten Mount-Everest an unerledigten Dingen in meinem Leben vor mir, aber auch an den werde ich wohl irgendwann einen Haken machen können. Hoffe ich.

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  • Hallo Martin – ich war unterwegs und habe nur die letzten 20 Minuten gesehen. Ich fand den Beitrag genau so gut, wie Du es beschreibst. Was mich auch beeindruckte war, dass der Bericht um 20:15 Uhr ausgestrahlt wurde….zu einer Zeit, wo es sehr viele Fernsehzuschauer gibt, sodass der eine und andere ggf. auch „durch Zufall“ den Beitrag gesehen hat💪.
    Nun Euch noch einen schönen Feiertag, liebe Grüße, Andrea

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  • Ich habe den Beitrag sehr positiv wahrgenommen. Dass Hirschhausen selbst ADHS hat, wusste man ja schon länger, aber so selbstkritisch hatte er sich früher nie geäussert. Hatte wohl wie die meisten Kreativen Schiss vor Medikamenten. Im Vergleich mit absolutem Müll, der früher im ÖRR zu sehen war, ist die Sendung eine Sternstunde. Natürlich ginge mehr, aber für die Aufklärung der neurotypischen Mehrheit war hier schon Einiges dabei.

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