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Dosierungsdilemma bei ADHS-Medikamenten: Wie viel ist zu viel?

Eine Gratwanderung zwischen Symptomkontrolle und Verträglichkeit

Die umfangreiche Analyse, die sich über 47 klinische Studien erstreckt, untersuchte die Auswirkungen verschiedener Dosierungen bei über 7.000 erwachsenen Teilnehmenden mit ADHS. Die Forschungsergebnisse legen nahe, dass eine empfohlene Standarddosis von Methylphenidat eine Balance zwischen Effektivität und dem Risiko für Nebenwirkungen herstellt, während höhere Dosierungen zwar eine intensivere Symptomlinderung bieten könnten, jedoch auch mit einem erhöhten Risiko für Nebenwirkungen einhergehen.

Die offiziellen Richtlinien im Vergleich

Die offiziellen Empfehlungen, wie die der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA), setzen Grenzen, die für die allgemeine Sicherheit der Patienten sorgen sollen. Die FDA legt ein Tagesmaximum von 60 mg für Methylphenidat fest, während andere Organisationen möglicherweise höhere Dosen für angemessen halten. Dieser Unterschied in den Leitlinien zeigt die Notwendigkeit einer maßgeschneiderten Behandlungsstrategie, die den individuellen Reaktionen und Bedürfnissen der Patienten gerecht wird.

Der Vergleich zweier Stimulanzien

Interessant ist der direkte Vergleich zwischen Methylphenidat und Amphetaminen in Bezug auf ihre empfohlenen Standarddosierungen. Während bei Methylphenidat höhere Dosierungen nur eine geringfügige zusätzliche Verbesserung zeigten, wurde bei Amphetaminen kein signifikanter Unterschied zwischen empfohlenen Standarddosierungen und höheren Dosierungen festgestellt. Das deutet darauf hin, dass bei bestimmten Medikamenten eine höhere Dosis nicht zwangsläufig mit einer stärkeren Symptomkontrolle korreliert.

Individualisierte Behandlungsansätze stehen im Vordergrund

Der Schlüssel liegt in der individuellen Anpassung der Medikation. Die Forschenden betonen, dass trotz durchschnittlich geringerer Verbesserungen bei höheren Dosierungen einige Patienten deutlich besser auf Dosierungen außerhalb des empfohlenen Rahmens ansprechen könnten, ohne dabei unverhältnismäßige Nebenwirkungen zu erleben.

Schlussfolgerungen für die Praxis

Die Studienergebnisse empfehlen medizinischen Fachkräften, bei der Verschreibung von Stimulanzien über die empfohlenen Standardgrenzen hinaus Vorsicht walten zu lassen. Patienten sollten engmaschig überwacht werden, um die optimale Balance zwischen Wirksamkeit und Nebenwirkungen zu finden. Wirklich eine fundamental andere / bessere Wirkung ist eben nicht zu erwarten.

Letztlich bestätigt die Untersuchung die Bedeutung eines individuell abgestimmten Ansatzes in der ADHS-Therapie. Die Wahl der Medikamentendosis sollte immer den persönlichen Bedürfnissen und Reaktionen der Patienten angepasst werden und nicht allein auf standardisierten Empfehlungen beruhen.

Diese Forschungsergebnisse tragen dazu bei, das Verständnis für die Behandlung von ADHS bei Erwachsenen zu vertiefen und unterstützen das Ziel einer personalisierten, patientenorientierten psychiatrischen Versorgung.

Farhat LC, Flores JM, Avila-Quintero VJ, et al. Treatment Outcomes with Licensed and Unlicensed Stimulant Doses for Adults With Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder: A Systematic Review and Meta-Analysis [published online ahead of print, 2023 Oct 25]. JAMA Psychiatry. 2023;e233985. doi:10.1001/jamapsychiatry.2023.3985

5 Gedanken zu „Dosierungsdilemma bei ADHS-Medikamenten: Wie viel ist zu viel?

  • Ich hab mal irgendwo gehört oder gelesen das run 70 bis 80% auf Stimulanzien zu hoch eingestellt seien. Was ist Ihre Erfahrung als ADHS Spezialist?

    Und wieso werden Erwachsenen ungern unretardiertes Methylphenidat verschrieben wenn es kein Retardpräparat benötig bzw. möglich ist?

    Antwort
    • Das weiss ich nicht, bzw. solche Statistiken sind gefährlich. Unretardiertes Methylphenidat ist schlicht „zu teuer“ bzw. wird nicht von den Gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Und es wird keine Zulassungsstudien geben, weil es zu billig ist, weil es zu viele Generika davon gibt. Das ist halt die paradoxe Welt …

      Antwort
  • Wow! Und innerhalb eines halben Jahres hat man plötzlich Erklärungen für jede Klitzekleinigkeit im eigenen Verhalten und Wahrnehmung der letzten 35 Jahre. Und weiß warum man wie gelebt hat, auch in Bereichen in denen man gar nicht mit der Existenz einer Erklärung, „Auslösers“ oder Zwecks gerechnet hat. 😳
    Das is schon viel. Und ambivalent.
    Ich hab grad so eine Phase in der manche Informationen gleichzeitig dazu führen, dass ich mehr Klarheit über meine Identität und Person spür und aber auch das eher beängstigende Gefühl erleb, dass mir genau die weggenommen wird, sozusagen. Wenn das was ich an mir leiwand find, alles Reaktionen auf Unsicherheiten, die durch unsere Gesellschaftsaufbau und sozialen Protokollen ausgelöst werden (also quasi das beste, aus Schwierigkeiten gemacht hab), wer bin dann?

    Das legt sich auch wieder, weil wir alle Produkte der Wechselwirkungen und Umwelt und Mitmenschen sind. So funktioniert das mit lebendig sein halt.
    Aber das so plötzlich vor Augen geführt zu bekommen, fühlt sich für mich schlimm an. Eh nicht lang und mittlerweile auch nur mehr manchmal bei Artikeln mit Titeln wie „die vergessenen Mädchen“ mit denen ich mich halt identifizier (ich hab halt auch eine Ader für meine persönlichen Dramen…🙂).

    Die systemischen implikationen sind halt auch heftig. Unzählige Frauen zermartern sich ihr ganzes Leben, wo die Lösung für den vermeintlichen Schaden den man hat, liegt und dann merkt man plötzlich, man hat ja gar keine so riesigen wie man dachte.
    Ganz im Gegenteil ich war anscheinend seit der Volksschule Bilderbuch-ADHS-Mädchen, es hat nur noch keiner gecheckt, das wir andere Symptome an den Tag legen.
    Ich würd sagen, das Mädels ihre Reaktionen auf die Welt besonders bei überforderung nach innen, Burschen eher nach außen. Verlustängsten und Ähnlichem begegnet man als Mädchen eher mit Freundlichkeit, die Ärger im Gegenüber vermeiden soll. Die letzten Jahrhunderte, vielleicht länger, sind Frauen Generation für Generation zur Abhängigkeit sozialisiert worden. Diese Unterschiede kõnnten eine direkte Konsequenz, daraus sein, dass Frauen sehr, sehr lange kein Geld besitzen oder in der Õffentlichkeit zu arbeiten, das heißt die einzige Möglichkeit sein Überleben zu sichern liegt darin, dass jemand anderer das Versorgen übernimmt.
    Das führt zum Heiraten als Garantie dafür, Jungfräulichkeit als ideal mit Frauen als Vertretern (vorehelicher Sex entwertet die einzige „Handelsware“, über die Frauen je Verfügen können) und zu anderen Symptomen anscheinend.

    Die Menschen, die grad auch im medizinischen Bereich, definieren und definiert haben und unsere Gesellschaft auch konstruiert haben, also mehrheitlich weiße Männer, habens eigentlich komplett verbockt. Aber eigentlich halt nur, weil sie aus ihrer Perspektive heraus agiert haben, was grundsätzlich kein Fehler ist, find ich.

    Das führt aber dazu, dass die Regeln und Möglichkeiten nicht für jeden funktionieren oder den potentiellen Zweck nicht bei jedem erfüllen.
    Oder Frauen, nicht oder falsch diagnostiziert werden. ( und lesen Sie wie schlau ich bin? Ich will mir gar nicht vorstellen, wieviele intelligente, kompetente Frauen dadurch aus dem Spiel genommen wurden oder sich mit versengenden Teufelskreisen aus Schuld und Selbstzweifel kaputtgegangen sind und nicht die Welt nach ihrem Willen beeinflusst haben, wies eigentlich ihre Aufgabe gewesen wär)
    Ich hätte mich und mein Verhalten auch niemals mit „AufmerksamkeitsDefizit“ assoziiert. Ich hab hauptsächlich Probleme mit Exekutiv Funktionen, die Frustration darüber meine eigentlich ur hohen Standarts und Erwartungen nicht erfüllen zu können und dazu gehöhrige Schuld, hab ich mit im Bett bleiben und vor der Welt flüchten beantwortet und irgendwann zur Pseudo-depression umgedeutet.

    Es ist klar, man kriegt nicht eine ganze Gesellschaft beim ersten Mal perfekt hin, deswegen bin ich jetzt grad nicht mehr so wütend und hab nicht mehr das Gefühl das mir mein Leben dadurch weggenommen wurde (ich bin da wo ich grad sein will und da wär ich sonst nicht. vor 5,6 Jahren wär das ein Schock gewesen, keine Ahnung wie ich den verkraftet hätt)
    Die Menschen vor uns haben das Ihre gemacht und von dort müssen wir jetzt halt weitermachen und Stück für Stück umbauen. und das im Geist der Solidarität, indem wir ab jetzt in alle Bereiche so gestalten, dass nicht nur die eigene Perspektive einfliest, sondern auch selbstverständlich die der anderen Beteiligten mitdenken. Auch in Fällen, in dene, nicht alle beteiligten Gruppen direkt beteiligt sind.

    Ich bin überzeugt, wir machen grad an vielen Stellen Kleinigkeiten besser und die pflanzen sich auch fort, wie Samen die wachsen und werden gar nicht glauben können, wie schnell wir plötzlich im Wald stehen 😄 Machts was‘ Euch denkts und macht es gut ;)!

    Sry, wegen etwaiger Fehler, aber wenn ich nochmal drüber les, wirds noch länger (hab heut ein großen Mitteilungsdrang)

    Antwort
  • Daniela Gaisbauer

    Ich denke, das Dosierungsdilemma gilt ebenso auch für Kinder und ich würde mir in diesem Zusammenhang (Thema optimale Dosis finden bei Kindern) einmal eine genauere Information wünschen. Hier spielt nämlich auch der angesprochene, zu wenig vorhandene, individuelle Behandlungsansatz eine Rolle. Wir bekamen das Medikament (Medikinet retard), wurden aber nicht aufgeklärt bzgl. wie weit überhaupt steigern? Wie erkenne ich wenn es zu viel ist? Was ist zu wenig? Wie kann ich Symptome abgrenzen? Was tun bei Rebound? Alles sehr schwierig…. Zusätzlich ist mein Sohn sehr schnell schlapp (zu Mittag) was offenbar einer Unterzuckerung nahe kommt. Er muss also zwischendurch immer wieder einen Riegel oder ähnliches essen (obwohl er eigentlich keinen Hunger hat). Aufklärung darüber was man bei solchen Nebenwirkungen machen kann fehlt also meistens auch und muss selbst im Internet zusammen gesucht werden, leider. Er ist auch immer blass und hat Ringe unter den Augen und da zweifelt man dann halt manchmal an der Dosierung.

    Antwort
    • Ganz richtig. Den meisten Kollegen fehlt dazu das Wissen, der Wille aber auch die (bezahlte?) Zeit. Ich fände es ja sinnvoll, wenn sowas in einem verpflichtenden Aufklärungskurs vor der Medikation vermittelt würde…

      Antwort

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