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ADHS Medikamente wie Ritalin lösen Probleme

Um es gleich vorweg zu schreiben : Ich glaube natürlich NICHT, dass eine Pille nun irgendein Problem auflöst. Probleme sind nicht methylphenidat-löslich. Oder doch ? Dann aber in einem anderen Sinne, wörtlicher gemeint, vielleicht schon.

Probleme lösen bedeutet bei ADHSlern eben gerade, dass man(n) oder Frau sich VOM Problem lösen kann. Also nicht daran kleben bleibt, emotional vom Problem quasi „hyperfokussiert“ ist und quasi die vielen vorhandenen Möglichkeiten einer oder mehrerer Alternativen nicht mehr sieht. Und natürlich, dass man aus Problemen bzw. deren Lösungswegen lernt.

Mein heutiger Arbeitstag (durch einen Nachtdienst noch nicht beendet) hat es mir gerade bei 3 Mädchen bzw. Frauen noch einmal verdeutlicht, wie Methylphenidat (vermutlich) wirkt und was im Selbstwertgefühl bzw. Er-LEBEN misslingt bzw. nur mit ganz grosser Anstrengung (und Folgeproblemen) passiert, wenn es zu Irritationen oder Problemen kommt.

Dieser Blogbeitrag ist also nicht über die Behandlung (?) von innerer Unruhe oder motorischer Hyperaktivität. Es geht auch nicht um die Frage, ob nun Methylphenidat „konzentrierter“ macht (was ich eher als sekundäre Folge denn als Hauptwirkung ansehe).

Methylphenidat sorgt aber nach meiner Erfahrung dafür, dass im Gehirn die Möglichkeiten von Entscheidungen klarer „markiert“ und damit Prioritäten erkennbarer sind. Ähnlich vielleicht, wenn ich einen Text hier zur Verdeutlichung fett markiere. Die Verfügbarkeit von Dopamin (über die Blockade der Wiederaufnahme von Dopamin) wird durch MPH verbessert. Damit können aber auch Prioritäten bzw. Entscheidungen erfolgen. Es ist nicht mehr ALLES gleich wichtig oder unwichtig. Es gibt eine Unterscheidbarkeit, man kann „echter“ oder „klarer“ seine Gedanken und damit auch Entscheidungen treffen oder davon wieder Abstand nehmen. Die Selbststeuerung bzw. Selbstkontrolle wird für wirklich „Betroffene“ damit zumindest in Anforderungssituationen überhaupt erst hergestellt.

Sehr häufig berichten mir Patientinnen, dass sie zuvor ohne Medikation eben schon sehr genau gewusst haben, was sie tun MÜSSTEN. Dieses Wissen kann aber eben bei ADHS nicht in HANDELN umgesetzt werden. ADHS ist also hier vor allem auch ein Intentions-Defizit. Mit MPH bzw. einer suffizienten Pharmakotherapie kann man scheinbar „ganz leicht“ und ohne intensives zusätzliches „MÜSSEN“, Gedanken und Absichten in eine Handlung umsetzen. Oder es sein lassen.

Dies gilt auch oder gerade , wenn Probleme auftauchen. So hatte eine Patientin gestern eine Autopanne. Motorschaden auf der Fahrt nach HH. Nun ja, sie wäre bei einer solchen Situation in Konfusion geraten. Sie hätte sich über das Auto, vor allem aber über sich selber geärgert. Und hätte sich nicht mehr „Ent-Ärgern“ können. Wie ein Kolbenfresser im Gehirn beisst sich dann das ADHS-Gehirn quasi in den Problemen und Sorgen fest. Kann keine andere Sicht mehr aufnehmen. Keinen Perspektivenwechsel bzw. einfach mal emotional „ein paar Schritte zurück treten“. Also mit emotionalem Abstand auf die Sache schauen.

Sie war selber überrascht, dass es „mit“ Methylphenidat eben anders war. Klar, es war eine sehr ärgerliche (und wohl letztlich auch teure) Geschichte. Aber, sie hat durchaus noch erkennen können, dass es Lösungen für das Problem gibt. Sie hat es sogar noch hinbekommen, an ihre Zwischenmahlzeit (als Patientin unseres Anorexiebereiches) zu denken. Und sich eben nicht in der emotionalen Überflutung durch Ärger / Selbstabwertungen und letztlich dann gestörter Impulsregulation bei angestautem Frust zu ergehen.

Methylphenidat hat in diesem Fall ihre emotionale Flexibilität erhalten. Sie war nicht so „rigide“ bzw. innerlich verhärtet und gefangen in einem unerträglichen Zustand (den sie zuvor ja schon zig mal erlebt hatte). Sie konnte unter der Medikation die Kontrolle über ihre Gefühle und Handeln behalten. Gefühle zulassen. Sich Ärgern, dann aber eben auch wieder in Richtung Zukunft bzw. Rest des Tages schauen.

Geht das nicht auch ohne Methylphenidat ? Ja klar, wenn sie KEIN ADHS haben. Ja klar, wenn alles „rund“ im Leben läuft und sie eben nicht an Problemen verhaken. Wenn also ihre inneren Exekutivfunktionen nicht unter Voll-Last laufen müssen. Aber das sind Bedingungen, die eben gerade im Alltag nicht gegeben sind. ADHS ist aber eben eine Alltagsstörung. Alltägliche Dinge gelingen nicht so, wie man sie eigentlich umsetzen könnte und auch von sich (bzw. durch andere Mitmenschen) erwartet.

Ich glaube , dass viele Medikamentenkritiker (der ADHS-Medikation) aber auch viele Ärzte im ADHS-Bereich einfach gar nicht so recht mitbekommen, worum es beim Leben mit oder ohne Medikamente geht. Methylphenidat ist keine Lösung, wenn man nicht in der Lage ist, sein Leben in die Hand zu nehmen (dazu sicher hier auch noch später einmal mehr). Aber WENN man das Wissen bzw. soziale Kompetenz hat und eben aufgrund einer ADHS-Konstitution eben das (theoretische) WISSEN nicht im Alltag zeigen kann, dann muss man innerlich irgendwann kapitulieren. Allein die Erfahrung, dass man mit einer gut eingestellten Medikation eben wie mit einer „emotionalen Brille“ plötzlich wieder Perspektiven bzw. emotionale Nähe und emotionalen Abstand herstellen kann, dass Gegenstände und Personen emotionale Kontur gewinnen und man selber einen Standpunkt, sind für mich Argumente FÜR ein sinnvolles Einsetzen von Medikamenten.

Ich bin nicht für ein grenzenloses und sinnfreies Behandeln mit Psychostimulatien. Ich glaube aber, dass nicht die Medikation mit Ritalin oder anderen Stimulantien das Problem der ADHS-Therapie darstellt.
Sondern die Tatsache, dass sich die Ärzte zu wenig Gedanken über den Sinn bzw. das Erleben unter der Pharmakotherapie machen und völlig falsche Zielsymptome in der Behandlung anvisieren. Zudem dann ihre Patienten quasi allein damit lassen, was passiert. Kein Wunder, wenn dann die Pharmakotherapie so einen miesen Ruf in der Öffentlichkeit hat.

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