Psychotherapie bei ADHS oder Windows gegen MacOS
Ehrlich gesagt oder geschrieben: Ich bin in einer etwas merkwürdigen Situation. Eigentlich bin ich Psychotherapeut mit Herz und Seele. Schliesslich bin ich vor Jahren aus der Apparatemedizin der Inneren Medizin deshalb in die Psychosomatik gewechselt, weil ich über Worte mehr zu erreichen dachte, als über das Rezeptieren von Tabletten oder Anordnen von Apparateuntersuchungen.
In Sachen Psychotherapie der ADHS tauchen bei mir aber innere Blockaden auf. Einmal erscheint es mir schon an sich irrsinnig, ADHS psychotherapeutisch zu therapieren zu wollen. Einfach, weil es sich um eine neurobiologische Diathese handelt. Das ist doch so ähnlich wie wenn man eine sexuelle Veranlagung wie Homosexualität “wegtherapieren” wollte. Die Veranlagung ADHS wird nicht “behandelbar” sein.
Man kann und muss lernen, damit zu leben. Das wäre dann Störungsbildteaching oder Psychoedukation und vielleicht Coaching (was aber definitionsgemäss eben keine Therapie ist). Was man beeinflussen kann und vielleicht muss, sind die lebenslangen FOLGEN eines Lebens GEGEN die ADHS-Konstituion bzw. Komorbiditäten.
Ein wenig ist aber ADHS auch wie ein von der Erwartungsnorm abweichendes Betriebssystem zu verstehen. Sagen wir mal wie damals Windows gegen MacOS von Apple.
Wenn man nun ein Betriebssystem auf der Festplatte seines Gehirns aufgespielt hat, dass von der Mehrheitsnorm abweicht, kann das Störungen verursachen. Nämlich dann, wenn man darauf Windows-Programme abspielen muss / will. Nun ist unsere Umwelt meist auf die Erwartungshaltung der Mehrheit OHNE ADHS-Konstitution ausgerichtet. Diese Spielregeln gelten halt. Dabei wären aus meiner Sicht die Spielregeln des ADHS-Gehirns durchaus “windowskompatibel”. Schüler mit einer Windowskonfiguration könnten sehr wohl von Unterricht für ADHSler (hier MacOs) profitieren. Umgekehrt aber leider nicht.
Nun versuchen sich also Psychotherapeuten mit den Regeln der Windows-Normwelt an Kindern mit einer MacOS / ADHS-Konfiguration. Sie versuchen dieses Kids massenkompatibel zu machen. Und verursachen dabei nur noch mehr Programmabstürze und Hilflosigkeitserfahrungen.
Meine Erfahrung mit ADHS-Therapie ist, dass ADHSler schon sehr genau wissen, was mit ihnen los ist. Es aber selten Psychologen erklären könnten. Einfach, weil die es nicht verstehen. Sie stellen Erwartungen aus ihren Lehrbüchern an die Gehirne der ADHSler, die einfach nicht passen. Falsches Betriebssystem. Wenn sich dann die Betroffenen aus der Therapie verabschieden, werten es einige Therapeuten als Erfolg. Dabei ist es nur Klugheit der ADHSler, sich nicht länger von Therapeuten die Zeit stehlen zu lassen.
Übrigens glaube ich, dass die Psychoanalyse weit näher an der ADHS-Mentalität dran ist als die von mir eigentlich bevorzugte Verhaltenstherapie. ADHSler fühlen und denken in Bildern. Häufig erfassen innere Metaphern und Bilder von ADHSlern Konflikte bzw. innere Blockaden weit besser als es eine abstrakte Verhaltensanalyse könnte. In Vorträgen polarisiere ich ja gerne: Ich glaube einfach nicht, dass Verhaltenstherapie bei ADHS wirken kann. Man kann ADHSler vielleicht “dressieren”, sich über Lob und Bestrafung Psychologen gefügig zu zeigen. Meist wird dies aber nicht in den Alltag transferierbar sein. Was transferiert werden kann, sind meistens eher Coaching-Tips zur Selbstorganisation.
Ein anderes Thema wären wie gesagt die lebenslangen Folgen von ADHS. Das sind wie Dateifragmente oder offene Fenster eines PC, die sich anhäufen und das Gehirn “zumüllen”. Die kann aber weder die Verhaltenstherapie noch die Psychoanalyse wirklich beseitigen. Dafür ist dann EMOFLEX weit besser geeignet. Das Fühlen in Bildern und eine Verarbeitung von emotionalen Blockaden und Traumata ist einfach über Methoden der Traumatherapie weit einfacher und effizienter möglich als mit “Gequatsche” mit dem Psychologen. (Sorry Kollegen…)
Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen recht geben. Jahrelange Psychotherapie hat mir nichts, aber auch gar nichts gebracht. Kurz nach der Sitzung fühlte ich mich immer ganz gut, aber kaum war ich aus dem geschützten Bereich, in dem ich „gepampert“ wurde, heraus, und tauchte wieder ein in die chaotische Ursuppe meines Lebens, war alles wieder für die Katz. Mein Therapeut mochte ohnehin keine Diagnosen – das war für ihn alles „Jacke wie Hose“. Deshalb konnte er meine Probleme auch nicht grundlegend verstehen: ihm fehlte die Perspektive eines ADHSlers, der richtige Blick auf eine „andere Art“.
So versuchte er mir immer wieder, Tipps für die Bewältigung der Desorganisation zu geben: „kaufen Sie sich so ein Register, in das Sie Ihren Papierkram einordnen, das ist super, habe ich auch….“
Ja… super. Habe schon zwei von den Dingern im Keller stehen.
Was ich gebraucht hätte (und nach wie vor dringend brauchen würde!), ist ein Coach. Jemand, der mit mir sachlich über konkrete Probleme spricht, und mir hilft, die vorgeschlagene Lösung dann auch in die Wege zu leiten. Jemand, der auch nachfragt und kontrolliert, ob das Problem (z.B. Ordnung) gelöst wurde, oder nicht.
Jemand, der mich nicht mit für ADHSler unrealisierbaren Vorschlägen überhäuft, sondern weiß, was er mir zumuten kann, und was nicht.
Hilfe zur Strukturierung des Lebens – das ist es, was ich persönlich als ADHSler brauche.
Ich gebe Ihnen völlig recht: das „Gequatsche“ hilft den Meisten nicht weiter.
Wo der Hund begraben liegt, weiß ich nach jahrelanger Grübelei und Reflexion selbst.
Aber wie bekomme ich das Kind geschaukelt? – Das wusste ich nicht, und weiß es bis heute nicht.
Ich stimme Ihnen weitgehend darin zu, dass ADHS als Phänomen erstmal nichts ist, “gegen” das man “antherapieren” kann und sollte. Dennoch empfinde ich (als inzwischen therapieerfahrene ADHSlerin mit HB) Therapie durchaus sinnvoll – wenn es eine auf die speziellen Bedürfnisse der ADHSler zugeschnittene Methode ist!
Klassische Verhaltenstherapie hat sich für mich als stark therapeutenabhängig herausgestellt. Ein “machen Sie doch einfach mal!” hat mir kein bißchen geholfen, zB mit Reizüberflutung oder der Aversion gegenüber bestimmten Situationen umzugehen. Gerade der vom Therapeuten ausgeübte Druck (“Machen Sie das jetzt so, wie ich es Ihnen sage, Sie brauchen Struktur!”) hat sich für mich als kontraproduktiv erwiesen.
Hingegen profitiere ich stark von einer verhaltenstherapeutischen Gruppentherapie, die sich einerseits ganz pragmatisch der Organisation des Alltags widmet (entsprechend den von Ihnen angesprochenen Coachingansätzen) und andererseits dem Umgang mit Gefühlen einen großen Stellenwert beimisst. Im Gegensatz zu meiner ersten VT wird hier versucht, ein positives Selbstbild, sowie die Stärken von ADHSlern zu vermitteln. Der subjektive Umgang mit gesellschaftlich so definierten Defiziten ist meiner Ansicht nach das, was ADHSler entweder souverän durchs Leben gehen lässt oder in den Abgrund stürzen kann – und da setzt diese VT an.
Es kommt mir beim Lesen Ihrer Zeilen so vor, als setzen Sie die ganze, vielfältige Landschaft der VT mit dem Vorgehen des ersten Therapeuten (Belohnung nach Schema F) bei mir gleich. VT ist aber wesentlich mehr und eine VT die Verhalten unterstützt, das die Betroffenen selbst anstreben und die die Klienten (emotional, motivational..) in die Lage versetzt, sich selbst die Strukturen zu erschaffen, die sie eventuell als stabile Basis benötigen, ist ebenso denkbar. Dies wird von Ihnen aber eher mit Coaching gleichgesetzt, weshalb ich denke, dass Sie der VT in ihrer Vielfalt Unrecht tun, denn auch solche Elemente kann sie umfassen.
Eventuell ist dies nur eine Definitionsfrage, aber dennoch möchte ich die Lanze für Verhaltenstherapie brechen. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie missverstanden habe, aber dieser Eindruck machte sich bei mir breit.
(Davon abgesehen existieren auch Befunde dazu, dass die Qualität der Klienten-Therapeuten-Beziehung eine größere Rolle für den Behandlungserfolg spielt als die Schule, der der Therapeut angehört, aber spezifisch zum Thema ADHS war das natürlich nicht..allerdings ist auch denkbar, dass dies hier ebenso zutreffen könnte)
Volle Zustimmung. Ich bin ja selber VTler, der ursprünglich eher von einem Zabbock mit einer integrativen Therapieausrichtung einschliesslich immaginativer Verfahren geprägt wurde. Ich meinte wahrscheinlich eigentlich auch weniger die VT im Sinne von Einzeltherapie sondern vielmehr die Ratgeber, die sich als Verhaltenstherpie verkaufen.
Psychotherapie beruht stark darauf, dass der Therapeut bzw. die Gruppe ein positives Gefühl “leiht”. Das muss so stabil sein, dass es bis zur nächsten Sitzung zu einem konstruktiven Ausprobieren von besprochenen Strategien führt und man dann eine Art “Bilanz” zieht. Ehrlich gesagt, ist das aber wirklich eher Coaching und weniger klassische VT im Sinne von Lerntheorie bzw. Verstärkermodelle.
Ist aber auch egal, wenn man eine gute Therapeutin oder einen guten Therapeuten hat, der so arbeitet : PRIMA !!!!
Ich neige ja zum Polarisieren bzw. zu Extremen, was ich mir aber in einem Blog zu ADHS als ADHSler auch erlaube 🙂