Was ist ADHS – und was nicht? Fortsetzung
Danke für die hilfreichen (und den einen völlig überflüssigen Kommentar).
Heinrich aus dem Dunstkreis eines HRS weiss es wieder. Das arme Kind ist überbehütet (alternativ mit Kühlschrankeltern) aufgewachsen. Und es ist Heinrich, der aus einem Blogposting meine Qualifikation und die Vorgeschichte der Patientin kennt. Respekt. So wie Sie setzt sich höchstens #wulff in die Nesseln. Ein Kommentar sagt manchmal mehr über die Person selber aus, welche unreflektiert eine Meinung abgibt. Behaupte ich, dass es ein ADHS allein ist? Behaupte ich überhaupt, dass es ADHS sein muss? Hoffentlich nicht. Für mich sind Diagnosen auch Hypothesen, die man überprüft. Bin halt nicht so genial wie Psychoanalytiker-Möchtegerne, die aus einem Posting schliessen, dass die Kindheit schuld sein muss.
Hilfreicher war da schon die Überlegung Asperger-Autismus. Tatsächlich habe ich in der Anamnese der frühkindlichen Entwicklung längere Zeit danach geforscht. Autism spectrum disorder sehen ja sehr ähnlich wie ADHS vom unaufmerksamen Subtyp aus. Hierzu empfehle ich auch den Artikel von Frau Dr. Simchen in der Mitgliederzeitschrift vom ADHS-Deutschland e.v. in der letzten Ausgabe (ggf. Mitglied werden !).
Eine ähnliche Klientin ebenfalls mit einer Binge-Eating-Störung und nachgewiesenem ADHS (bei familiärer Veranlagung mit hyperaktivem Sohn) hatte übrigens die interessante Diagnose Tourette-Syndrom von der MH Hannover zusätzlich erhalten.
Nun ist es so, dass meine Klientin in der frühkindlichen Entwicklung bis zur Schule noch weitgehend sozial interessiert war und auch nicht durch entsprechende frühkindliche Auffälligkeiten eines Autisten auffiel.
Aber eben eine ganz erhebliche Selbstunsicherheit entwickelte. Wir haben dann heute u.a. abgegrenzt, worin diese Selbstunsicherheit besteht. Es ist keine Soziale Phobie im Sinne einer Angst vor Blamage. Sie kann auch in Gesprächen gut antworten, wenn sie angesprochen wird. Aber speziell ein Gespräch beginnen und Blickkontakt aufnehmen oder halten, ist das Problem. Das ist natürlich nicht (allein) ADHS. Aber nicht ungewöhnlich für ein Kind, dass schon frühe Wahrnehmungssstörungen und nicht erworbene Skilss zusätzlich eine Rolle spielen.
Sie ist übrigens symptomfrei derzeit.
Verhaltensweisen, die entweder an autistisches Spektrum erinnern oder sich bereits darin bewegen, finde ich in der Praxis bei vielen Kindern mit ADS/ADHS-Mischtyp. Mir schien das bisher eine Mischung aus Hochsensibilität und dem bisher entwickelten Sozialverhalten zu sein. Nach Deinem jüngsten Beitrag fällt mir allerdings auch die schnelle soziale Erschöpfbarkeit und das daraus resultierende Bedürfnis nach Rückzug auf.
Typischerweise werden Mischtyp-Kinder erst mit Schuleintritt oder sogar später auffällig. Trotzdem sammeln sie auch vorher schon viele negative soziale Erfahrungen und sind unter Stress nicht in der Lage, sorgsam aus ihren sozialen Strategien auszuwählen, sondern sie nehmen impulsiv die nächstbeste Reaktion. (Rumkaspern, …)
Das heißt, dass ein Kind, das die Kleinkind- und Kindergartenzeit noch weitgehend normal verbracht hat, im Grundschulalter scheinbar autistische Züge entwickelt, falls es nicht zu anderen Störungen kommt. Im Familienumfeld sind diese “Macken” oft geduldet, bzw. die Eltern kämpfen tagtäglich mit großem Einsatz gegen die Blockaden und Limitationen des Kindes. Viele Familien wirken auf mich dann wie koabhängig, da sich alles um das “komische” Kind dreht. Systemisch gesehen kann das ein guter Nährboden für die Aufrechterhaltung dieser Störung sein.
Passt vielleicht nicht 100%ig zum vorliegenen Fall. Erinnerte mich nur grade daran.