Naturpädagogik und ADHS
Auf einer Seite der Feldbergklinik bin ich auf einen zurückliegenden Workshop für Kinder und Familien mit ADHS gestossen. Ich verlinke mal absichtlich nicht.
Da wird dann gross herausgestellt, dass man Naturpädagogik mit den Kindern und Geschwisterkindern von ADHSlern machen will.
Was sogar wissenschaftlich abgesichert sein dürfte. Wenn sich ADHSler im Grünen und der Natur aufhalten und draussen toben, Spass haben, ihren Bewegungsdrang ausleben und Licht / Sonne tanken, geht es ihnen besser. Zumindest besser als in einer schlechten Schule und allemal besser als in einer schlechten Psychotherapie.
Nur: Ist das jetzt “Therapie” oder Förderung oder ist das nicht eine Selbstverständlichkeit? Und: Suggeriert es nicht den versteckten Vorwurf, dass die Kids genau an Natur beziehungsweise an natürlichen Erlebnissen einen Mangel haben? Dass sie (von ihren Eltern) zu wenig beschäftigt werden im Sinne von kindgerechtem Erleben und Ausprobieren, zu wenig Kontakte mit Erlebnissen und pädagogisch wirksamen / wertvollen Momenten kommen ?
Tiefenpsychologen meinen gerne, dass es ADHSlern an befriedigenden Bindungen und Erlebnissen fehlt. Spielzeit mit dem Vater, einen Bach erkunden, ein Gesellschaftspiel im Kreis der Familie. Und dass ein Mangel bis hin zu einem Neglect oder gar emotionale Verwahrlosung (gerne genommene Vergleiche zu Waisenhäusern in Rumänien mit ADHS-Familien, zuletzt wieder am Wochenende von einer Referentin in Halberstadt) nun so diametral zur Lebendigkeit von Kindern “früher” in der auch nicht guten Zeit der Trümmerfrauen und des Wiederaufbaus steht. Idealisierung mag ja helfen, aber mit ADHS hat das wenig zu tun.
Hallo Kollegen Therapeuten: Wacht mal auf! Die Realität von Familien mit ADHS ist doch gerade so, dass sie eben in der Folge von ADHS in Kleinkriege verstrickt sind. Wenn schon das Aufstehen und die ersten drei Stunden des Tages so anstrengend sind, wie sonst ein ganzer Tag nicht ist, wie soll da nun noch Raum für Erlebnispädagogik sein? Klar, gemeinsame Spielzeit ist wichtig. Sehr wichtig!
Und nichts würden sich Mütter mehr wünschen, als eben diese Zeit zu haben. Eben nicht länger als andere Mütter die Hausaufgaben verfolgen und korrigieren. Nicht zu Therapien chauffieren, nicht die Telefonate mit Lehrern und zig anderen Menschen wegen der “Verfehlungen” ihrer Kids haben. Und die Kinder eben wirklich “früh” zum Spielen rausschicken.
Das dann in einer Familientherapie anzubieten ist nett. Aber auch irgendwo Thema verfehlt. ADHS-Therapie ist nicht Freizeitpädagogik auf dem Abenteuerspielplatz. Es ist auch nicht Selbstverwirklichung für Sozialpädagogen oder Vergangenheitsbewältigung einer nicht gelebten eigenen Kindheit von Nachkriegspsychologen.
Es ist konkrete Hilfe mit den neurobiologisch bedingten Besonderheiten einer ADHS-Konstitution unter ALLTAGSanforderungen umgehen zu können. Auf der Alm oder auf dem Feldberg mag das ja klappen. Wichtig ist, dass es dann auch zu Haus übertragbar bleibt.
Bezieht die Kinder und ihre Mütter in die Therapien ein. Hört darauf, was im Alltag klemmt. Und hört auf, eure eigenen verstaubten Idealvorstellungen wie anständige Kinder sein müssen, auf die ADHSler zu stülpen.
ADHSler stossen Fremdkörper ab. Eure Vorstellungen sind eure Ideale und Vorstellungen. Sie stammen aus einer Pädagogik und aus Psychotherapieschulen, die z.T. aus Sicht der ADHSler ihre Berechtigung, aber auch vielfach Unverständnis und Widerstand erzeugen müssen. Weil die Eltern eben weit länger sich mit diesen Kindern auseinander setzen. Sie besser kennen.
Wenn ihr ADHS-Therapie machen wollt, lasst euch von Selbsthilfegruppen und nicht von Analytikern oder Alm-Experten schulen. Holt die Praxiserfahrungen von ADHSlern in die Therapieprogramme und Einrichtungen.
Und fahrt dann allein zur Selbstverwirklichung auf erlebnispädagogische Seminare, wenn ihr es für Eurer Seelenheil braucht.
ADHSler können sich auch ohne Anleitung in der Natur beschäftigen und die Zeit vergessen 🙂
Danke!!! Ich bin gerade durch mein Sohn auf dieses Thema ADS gestoßen worden. Mir gehts soooo schlecht mit den Sorgen und offenen Fragen. In einigen Ratgebern findet man genau solche aussagen.
Bei uns lief nicht immer alles grade, aber wenn ich mir die “Super Nanny” anschaue, dann weiß ich, was für eine wundervolle Familie wir sind und wie liebevoll es doch bei uns ist.
Danke für diesen Beitrag!!! Der hat mir nach einem Tag mit Eltern, die mich angegriffen haben, wegen meinen sohn, (der die Anstrenung und den Frust der Schule schlecht bewältigen kann und oft mit Agression reagiert) echt geholfen.