Was heisst eigentlich “ADHS-Spektrum-Störung”?
In den diganostischen Manuals der ICD-1o und der DSM-IV taucht der immer öfter verwendete Begriff der ADHS-Spektrum-Störung nicht auf.
Wieso eigentlich? Und was genau ist eine ADHS-Spektrum-Störung? Worin unterscheidet sie sich von einer ADHS?
2009 habe ich diesen Begriff (von dem ich übrigens nicht weiss, wer ihn ‘erfunden’ hat) mit meiner Kollegin in einem Aufsatz erstmals öffentlich verwendet. Reklamiert hat bisher niemand. Wir haben damals unter anderem Folgendes ausgeführt:
So wichtig die diagnostischen Kriterien der Klassifikationssysteme DSM-IV-TR und ICD-10 für die Therapieforschung und Krankenkassenentscheide auch sein mögen: In einer klinisch-therapeutischen Perspektive erscheinen sie in Bezug auf erwachsene ADHS-Patientinnen und -Patienten unpraktisch. Je mehr erwachsene ADHS-Betroffene wir untersuchten und behandelten, umso deutlicher wurde, dass die ADHS-Diagnose im Sinne der gemäss DSM-IV-TR geforderten klinisch akuten Zustandsstörungen (Achse-I-Störung) nur selten vorkommt.
Was uns begegnet, sind vielmehr Menschen mit chronifizierten ADHS-charakteristischen Verhaltensweisen und festgefahrenen ADHS-Persönlichkeitszügen. Wir sehen des Öfteren mehr oder weniger gut kompensierte ADHS-Kernsymptome und Vermeidungsstrategien, die von verschiedenen akuten psychopathologischen Störungsbildern wie etwa Suchtstörungen überlagert werden und die ADHS maskieren können.
Daneben begegnen uns vor allem bei Frauen sowie bei intelligenten Patientinnen und Patienten akute, ADHS-ähnliche Beschwerdebilder, welche die diagnostischen Kriterien der Klassifikationssysteme zwar nicht erfüllen, in ihrer Gesamtheit sowie nach Würdigung sämtlicher Differenzialdiagnosen einer ADHS aber sehr nahe kommen. Wiederholt haben wir in diesem Zusammenhang beobachtet, dass Patientinnen und Patienten mit der Begründung einer zu späten Erstmanifestation (beeinträchtigende ADHS-Symptome müssen nach DSM-IV-TR vor dem siebten Lebensjahr vorliegen) eine sich später als wirksam erweisende ADHS-Therapie vorenthalten blieb.
Generell: Als Praktiker begegnen wir der ADHS in allen nur erdenkbaren Dimensionen und Schattierungen. Eine dimensionale Sichtweise der ADHS erlaubt es uns daher, in der Therapie die Einzigartigkeit jedes betroffenen Individums zu berücksichtigen. Wir behandeln Menschen und keine Diagnosen.
Mit der Bezeichnung ADHS-Spektrum-Störung, welche übergeordnet sowohl die ADHS gemäss DSM-IV-TR als auch atypische und subklinische Bilder umfasst, versuchen wir somit – bei aller diagnostischen Sorgfalt – auch ‘atypischen’ ADHS-Patientinnen und -Patienten und ihren Beschwerden klinisch-therapeutische Evidenz zukommen zu lassen.
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Aber ich sehe das richtig, dass diese Erwachsenen durchaus auf MPH positiv ansprechen? (…)
Ja, durchaus.