ADHS 2027 (Teil 2/3)
Zurück auf Null.
Wir schreiben das Jahr 2027.
Echt stark, was sich in den letzten Jahren bezüglich Verständnis von und Umgang mit ADHS-Betroffenen und deren Therapie so alles verbessert hat. Aufzeigen will ich das mit einer unvollständigen Aufzählung von Innovationen in der Behandlung von Kindern mit einer ADHS.
Diagnose: Diagnostische Untersuchungen erfolgen in unklaren Fällen heute EU-weit in multidisziplinären ADHS-Kompetenzzentren. Und dies im Rahmen eines ein- bis dreimonatigen Aufenthaltes. In diesen Fachzentren besuchen die Kinder auch eine Klinikschule. An zwei Tagen pro Woche sind auch die Eltern anwesend. Ein Team von gut ausgebildeten Fachpersonen aus verschiedenen Disziplinen untersucht und beurteilt das verhaltensauffällige Kind und leitet die Behandlung ein. Weil dabei auch Sozialarbeiterinnen mitwirken, können psychosoziale Belastungen, welche zu ADHS-ähnlichen Verhaltensauffälligkeiten führen, besonders gut erfasst werden.
Da immer auch eine neuropsychologische Untersuchung erfolgt, kann zudem gewährleistet werden, dass auch neuropsychologische Störungen, die zu ADHS-ähnlichen Problemen führen können, erfasst werden können. Dazu zählen unter anderem primäre Merkfähigkeits- oder Raumverarbeitungsstörungen.
Auch im ambulanten Bereich verzeichnen wir grosse Fortschritte. So existieren nicht nur bezüglich Diagnosen, sondern auch hinsichtlich des Workflow von Untersuchungen verbindliche, evidenzbasierte Leitlinien. Diese und andere Massnahmen brachten es mit sich, dass in den letzten Jahren trotz gleichbleibender Auftretenshäufigkeit weniger ADHS-Diagnosen gestellt wurden. Multidisziplinäre Teams, Qualitätssicherung etc. führten nämlich dazu, dass mögliche Differenzialdiagnosen besser beachtet werden konnten. Es werden heute viel weniger falsch-positive ADHS-Diagnosen gestellt als früher. Das senkte auch die Behandlungskosten massgeblich.
Therapie: Die Therapieeinleitung erfolgt in den ADHS-Kompetenzzentren oder in deren regionalen Niederlassungen, welch ihrerseits bestens mit den lokalen Kinderärztinnen und Psychologen vernetzt sind. Zum Glück verfügen wir seit drei Jahren über ADHS-Depot-Medikamente, welche eine Wirkdauer von einem Monat gewährleisten. Das macht die Behandlung viel unkomplizierter. Erfreulich auch die Fortschritte in der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern mit einer ADHS. Diese ist mittlerweile EU-weit “Pflicht”. Und was noch wichtiger ist: Die Versorgung ist (fast) überall flächendeckend gesichert.
Alternative Therapien: Anbieter von so genannt alternativen ADHS-Therapien erhalten gegen eine tragbare Mitfinanzierung bei einer von der öffentlichen Hand getragenen und unabhängigen Fachstelle die Möglichkeit, ihre Behandlungen auf Wirksamkeit und Risiken überprüfen zu lassen. Ohne die Anerkennung dieser Fachstelle ist es seit zwei Jahren untersagt, Methoden oder Substanzen zur Behandlung der ADHS zu bewerben und zu verkaufen. Diese Massnahme bewirkte schon bald, dass sehr vielen ADHS-betroffenen Kindern und deren Angehörigen ein langer Leidensweg – verursacht durch unwirksame “Therapien” – erspart bleiben konnte. Das gilt auch für die früher öfters eingesetzte Therapie mit Neurofeedback, Homöopathie, Chiropraktik, Hypnose und diversen Diäten. Es zeigte sich deutlich, dass viel zu wenige Kinder von dieser Behandlung im Schul- und Familienalltag ganz konkret zu profitieren vermochten. Ihr Leidensweg wurde unnötig verlängert.
Schulen: Seit 2020 ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass alle Schulen eine Anlaufstelle für Kinder mit einer Behinderungen haben müssen. Die zuständigen Fachpersonen stellen sicher, dass die Kinder bei Bedarf eine heilpädagogische Unterstützung erfahren und dass – falls erforderlich – ein Nachteilsausgleich gewährt wird. Heute wissen alle Lehrpersonen über die ADHS prima Bescheid. Kein Vergleich zu früher! Dadurch können Kinder mit einer ADHS früher erfasst und behandelt werden. Das führte nicht nur für das betroffene Kind und die Lehrperson, sondern meistens auch für den ganzen Klassenverband zu einer grossen Entlastung.
ADHS-Eltern- und Selbsthilfegruppen: Diese können seit ein paar Jahren auf Antrag vom Gesundheitsamt finanziell unterstützt werden. Damit können die Nebenkosten (Raummiete, Telefon etc.), aber auch Fortbildungen finanziert werden. Voraussetzung sind neben einer Mindestgrösse unter anderem, dass keine finanzielle Unterstützung von der Pharmaindustrie beansprucht wird. Selbsthilfegruppen haben heute einen viel grösseren Stellenwert als früher. Dies unter anderem auch deswegen, weil die Berührungsängste zwischen Eltern betroffener Kinder und Fachpersonen, mit Kindern mit einer ADHS, abgenommen haben. So engagieren sich heute immer mehr Fachpersonen als gleichberechtigte Teilnehmer in den ADHS-Elterngruppen. Übrigens: Wie zu erwarten war, sind die meisten ehemaligen ADHS-Fachverbände eingegangen. Sie haben Tagungen veranstaltet (oder auch nicht) und haben geredet und geredet. Bis alles eingeschlafen ist.
Pharmaindustrie: Seit fünf Jahren ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass die Pharmaindustrie Fachpublikationen und alle Ärzte und Psychologen mögliche Interessenskonflikte öffentlich ausweisen. So können heute Eltern schon vor Behandlungsbeginn klären, ob ihr Arzt etwa durch die Beteiligung an klinischen Studien Geld oder andere Vergünstigungen erhält und dadurch bei der Therapie des Kindes bestimmte Medikamente bevorzugen könnte. Diese Regelung ermöglichte es, dass Eltern dem Arzt gegenüber konsumentenbewusster auftreten konnten und diese Punkte ansprachen. In vielen Fällen führte dies zu einer Verbesserung der Beziehung zum Arzt, was dann auch dem betroffenen Kind zugute kam.
ADHS-Forschung: Seitdem der Staat und nicht mehr primär die Pharmaindustrie die ADHS-Forschung bezahlt (finanziert auch durch Steuererhöhungen bei den Pharmaunternehmungen), können nun endlich auch Gebiete erforscht werden, welche bisher völlig unbeachtet blieben. Es werden auch mehr Mittel bereitgestellt für die Erforschung psychotherapeutischer und neuropsychologischer Therapiemöglichkeiten der ADHS. Beispiel: Seit Jahrzehnten weiss man, dass sich bei vielen Kindern mit einer ADHS die Problematik mit der Adoleszenz teils oder ganz auswächst. Warum dies so ist und ob und wenn ja welche therapeutische Implikationen das hat, wird erst seit zwei Jahren erforscht.
Träumen darf man ja. Und trotzdem. Ich mache ich hier mal einen Punkt.
Und morgen dann Teil 3.
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Leider nützt es nicht automatisch, wenn die Lehrpersonen prima Bescheid wissen… Aber schön wärs!
Gut, dass Sie auch noch geträumt haben. Der erste Teil hat mich doch sehr erschrocken…. Obwohl ich gut verstehen kann, dass einen manchmal der Frust packt. Die Ideen im 2. Teil gefallen mir gut!